Diagnose zur Daemmerung
Während der Regen auf mich herabrauschte, wühlte ich in der Tüte, deren Inhalt bald durchweicht war.
Was sollte ich denn bitte mit ein paar Mullbinden anfangen? In dem Regen waren sie quasi nutzlos. Trotzdem nahm ich sie mit zu dem Verletzten.
»Wo wurden Sie getroffen?«, fragte ich ihn, doch er antwortete nicht. Das Lagerhaus lag ein ganzes Stück weit entfernt, wahrscheinlich war er bis hierher gerannt – oder gekrochen. Mit einer schnellen Bewegung drehte ich ihn auf den Rücken und verschaffte mir einen Überblick. Am Arm hatte er eine Schwellung. Ich rollte ein Stück von der Mullbinde ab, wickelte es um seinen Ellbogen und band es fest. Bis ich herausgefunden hatte, woher die Blutung kam, würde ich vorsichtshalber seine Extremitäten abbinden, um den Blutfluss zu stoppen.
Sein Hemd war vollkommen durchlöchert. Die Kreuze an seinem Hals hatten ihn lediglich vor Luz beschützt, und selbst das war fraglich. Ich zuckte heftig zusammen, als ich bei der weiteren Untersuchung eine Waffe zu sehen glaubte. Doch es war nur eine Zeichnung, ein schlecht gemachtes Tattoo auf seinem Bauch. Der Junge war kaum älter Olympio. Heilige Mutter Gottes!
»Hey!«, brüllte ich ihn an und schüttelte ihn. Er stöhnte auf. An seinem Hals spürte ich einen Puls. »Hilfe ist unterwegs, okay? Halt durch!«
Nun suchte ich seine Gliedmaßen systematisch nach Löchern im Stoff und weiteren Blutspuren ab, was ihn einen Ärmel und ein Hosenbein kostete. Anschließend drückte ich die restlichen Mullbinden auf die Wunde an seinem Oberschenkel. Hoffentlich war das nicht die Femoralarterie; ich war bestimmt nicht stark genug, um ihn in Hectors Wagen zu schleppen.
Die nächste Salve dröhnte durch den Regen. »Edie!«
»Bleib im Wagen. Ich bin gleich fertig, okay?«, rief ich, unsicher, ob ich damit Catrina oder den Verletzten beruhigen wollte.
»Edie …?« Als ich Catrinas fragenden Ton hörte, drehte ich mich um. »Ich glaube, es hat mich erwischt.«
Sie hockte immer noch hinter dem Fahrersitz, aber jetzt drückte sie eine Hand in ihre Taille.
»O Gott … Du musst dich sofort flach hinlegen, Catrina!« Während sie ihre Beine auf die Rückbank zog, verknotete ich den Verband am Oberschenkel des Gangsters und nahm meine durchweichte Erste-Hilfe-Tüte mit in den Wagen. »Scheiße, scheiße, scheiße – wo denn?«
»Hier.« Ein seitlicher Bauchschuss. Selbst wenn es nur eine Fleischwunde war, konnte daraus schnell eine Bauchfellentzündung werden.
»Okay, bleib ganz still liegen.« Ich riss so viele Mullbindenpackungen auf wie möglich. »Gibt es eine Austrittswunde?« Mit einer Hand tastete ich ihren Rücken ab und suchte nach einem zweiten, eventuell schlimmeren Loch. Als ich nichts fand, drückte ich sämtlichen Mull auf die blutende Stelle an ihrem Bauch. »Scheiße! Halt das kurz fest, Catrina, okay?« Mit blutverschmierten Händen suchte ich nach meinem Handy, das irgendwo hinter dem Fahrersitz liegen musste, wo Catrina es wohl fallen gelassen hatte. Es war zwar kein idealer Zeitpunkt, um Asher eine Nachricht zu schicken, aber er hatte den Autoschlüssel und ich keine Ahnung, was ich sonst tun konnte. Der Krankenwagen sollte bereits unterwegs sein – mit Betonung auf sollte .
»Wie konnte das passieren? Ich war doch so vorsichtig«, fragte Catrina gepresst und biss gequält die Zähne zusammen. Mich beschäftigte vielmehr die Frage, wo in ihrem Körper die Kugel steckte. Gottverfluchter Scheißdreck! Wenn jemand hätte getroffen werden sollen, dann ja wohl ich, die ich draußen herumgeturnt war.
Plötzlich stand Luz im strömenden Regen vor uns und musterte den verletzten Mann auf dem Bürgersteig. Als sie Catrina entdeckte, riss sie überrascht die Augen auf.
»Habt ihr sie gefunden?« Flehend streckte Catrina ihr eine blutige Hand entgegen.
»Nein, sie war nicht dort …« Luz’ Blick wanderte zwischen dem Gangster und Catrina hin und her, sie zog ihre Schlüsse daraus und stellte einen Fuß auf seinen tätowierten Hals.
»Nein, er war es nicht! Er hat sie nicht angeschossen!«, schrie ich sofort.
»Na und? Er ist einer von ihnen!«
»Sag ihr, dass er dir nichts getan hat, Catrina!« Ich kniete mich auf die Rückbank. »Sag es ihr!«
Catrina kniff die Augen zusammen. Offensichtlich war ihr das gleichgültig.
»Catrina …«, flehte ich.
»Reina – tu es nicht«, hauchte sie schließlich.
»Pah!« Luz versetzte dem Mann einen Tritt, hockte sich dann neben ihn und zog seine Augenlider hoch. Aufmerksam
Weitere Kostenlose Bücher