Diagnose zur Daemmerung
nachgesehen. Das weiß ich ganz genau, immer und immer wieder habe ich das Haus überprüft. Ich bin mir absolut sicher«, sagte sie, als müsse sie eher sich selbst davon überzeugen als uns.
Leute, die sich an Dinge erinnern, die sie niemals getan haben – das kam mir bekannt vor. Entweder hatten hier die Schatten ihre Finger im Spiel, was ich allerdings nicht glaubte, da es auch in ihrem Interesse war, dass ich meine Mission erfolgreich beendete, oder es war Kabinett Grey. Vielleicht hatte Dren mit seinem Verdacht richtiggelegen: Sie borgten Montalvo ihre Kräfte und brachten ihm bei, mit ihnen umzugehen. Sie wollten die Kontrolle über Santa Muerte, weigerten sich aber, sich dabei selbst die Hände schmutzig zu machen – lieber halfen sie Montalvo und den Drei Kreuzen.
Ti stützte sich immer noch auf mich, als Hector und Catrina eintrafen. Olympio half seinem Großvater auf die Beine. Angespannt fragte Ti den alten Mann: »Ist der Bann gebrochen? Bin ich geheilt?«
Der curandero antwortete ihm, und Olympio dolmetschte: »Vorerst ja. Aber ohne jede Garantie. Wer einmal von einem bruja berührt wurde, bei dem findet er immer wieder ein Tor, das er öffnen kann.« Dann sah er mich an und fügte noch etwas hinzu, das Olympio allerdings nicht übersetzte. Mit einem lauten, triumphierenden Lachen streckte mir der alte Mann die zerstörte Schale des letzten schwarzen Eis entgegen. Die Schlangen – oder was auch immer das gewesen war – waren verschwunden. Doch meine Knöchel waren mit roten Schwellungen übersät, aus denen eine zähe Flüssigkeit quoll. Darum würde ich mich später kümmern.
»Luz – ist alles in Ordnung mit dir?« Sie tastete ihren Körper ab, als könne sie nicht glauben, was gerade passiert war. Entweder hatte sie noch nie gesehen, wie ihre Vampirkräfte sie heilten, oder sie war es gewöhnt, sich mit Leuten zu prügeln, die wesentlich empfindlicher waren als ein Zombie.
Catrina und Hector waren verwirrt. »Was ist passiert?«, fragte meine Kollegin.
»Ich war in dem Haus, aber sie ist verschwunden.« Luz warf mir einen finsteren Blick zu. »Wenn ihr früher zu mir gekommen wärt, letzte Nacht schon …«
»Dann wärst du getötet worden. Er ist mächtiger, als du glaubst«, unterbrach Hector sie und sah sich im Raum um. Als er bemerkte, wie ich Ti festhielt, schien ihn das nicht gerade zu freuen. »Wir sind so schnell gekommen, wie es ging.«
»Danke.« Ich wandte mich an Ti: »Geht es dir besser?«
»Ich bin kein mordendes Monster mehr, aber besser? Das wird wohl noch eine Weile dauern.« Er richtete sich auf. »Was will die Vampirin von dir?«
»Ti, jetzt wo du geheilt bist: Woran kannst du dich erinnern?«
»Inwieweit soll uns das helfen?«, stänkerte Luz.
Ich beachtete sie gar nicht. »In jenem Haus wurde das Mädchen festgehalten, von dem ich dir erzählt habe, Ti. Kannst du dich jetzt vielleicht an mehr erinnern als vorhin?« Festgehalten klang immer noch besser als eingesperrt . In gewisser Weise waren sie beide Gefangene gewesen, die gegen ihren Willen festgehalten wurden.
Ti runzelte die Stirn, während er angestrengt versuchte, Informationen zurückzuholen, die von der Magie des Kabinetts Grey verdrängt worden waren. »Nur an die Knochen … die vielen Knochen.« Er blickte auf seine Hände, als wären sie immer noch blutverschmiert. »Zimmer ohne Tageslicht und voller Knochen. Das ist alles, was mir beim Gedanken an sie einfällt.«
»Ich war in diesem Zimmer. Sie war nicht da«, wiederholte Luz.
»Ti … mehrere Zimmer?«, hakte ich sanft nach.
Er nickte. »Es gab … mehr als eines. Aber nur ein Mädchen.« Verzweifelt sah er mich an. »Was für ein Monster war ich, dass ich dabei geholfen habe, sie dort festzuhalten?«
Welche Wache wäre schon Furcht einflößender und unverwüstlicher als ein versklavter Zombie? Ich nahm seine Hände. »Das warst nicht du, Ti. Du warst nicht du selbst.«
»Als mein alter Meister starb, habe ich geschworen, dass mich nie wieder irgendjemand kontrollieren würde. Dass ich nie wieder so sein würde wie früher, mich niemals wieder benutzen lassen würde.« Wie benommen schüttelte er den Kopf. »Ich kann nicht glauben, dass mir das passiert ist. Dass ich zu ihm gekommen bin und mich freiwillig angeboten habe …«
»Aber doch nur, weil du geheilt werden wolltest. Woher hättest du wissen sollen, was er mit dir anstellen würde?« Es tat weh, mit anzusehen, wie er litt. Er wäre nicht der Erste, der sich seinen Zielen so sehr
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