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Diagnose zur Daemmerung

Diagnose zur Daemmerung

Titel: Diagnose zur Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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wieder auf.«
    »Oh.« Es war dämlich gewesen, zu glauben, ich könnte Erfolg haben, wo die Schatten gescheitert waren. Dieser Mythos von Santa Muerte war nur ein Vorwand, um die Leute auszunehmen.
    Der Junge warf mir einen fragenden Seitenblick zu. »Bist du jetzt enttäuscht?«
    »Irgendwie war ich davon ausgegangen, sie wäre eine reale Person.«
    Olympio lachte. »Sie ist besser als jeder Mensch – sie ist eine Heilige. Sie sieht alles. Sie beschützt uns. Das Leben hier bei uns ist ziemlich hart, und das versteht sie.« Er streckte sich und berührte mit einer Hand ihre Robe. Diverse Flecken auf der Farbe verrieten mir, dass das vor ihm schon viele andere Leute getan hatten.
    »Also …« Ich sah mir das Bild genauer an. »Sie ist der Tod?«
    »Sie beschützt Menschen, die wissen, dass sie bald sterben werden. Was hier so ziemlich auf jeden zutrifft. Bei uns passiert so etwas schneller als dort, wo du lebst. Schneller als bei den ganzen reichen Leuten im Fernsehen.« Er zeigte auf einen bestimmten Schriftzug. »Das ist mein Name. Habe ich hingeschrieben, als ich das letzte Mal hier gebetet habe. Natürlich nicht, um geheilt zu werden. Mein Großvater kann alles heilen«, erklärte er voller Stolz. »Aber wenn sie will, erfüllt sie einem auch Wünsche.«
    »Mhm«, grunzte ich unverbindlich.
    Misstrauisch kniff er die Augen zusammen. »Warum bist du auf der Suche nach ihr, wenn du gar nicht weißt, wer sie ist?«
    »Die alte Dame im Wartebereich hat gestern zu ihr gebetet, als sie die Waffen gesehen hat. Das hat mich neugierig gemacht«, erklärte ich ihm. Er verzog das Gesicht, als wäre er enttäuscht von mir. »Aber sie ist sehr schön«, fügte ich noch hinzu, denn vom künstlerischen Standpunkt aus war sie das wirklich.
    Olympio nickte zustimmend, woraus ich schloss, dass er mir zumindest teilweise verziehen hatte. »Na ja, jetzt weißt du ja, wer sie ist. Wir sollten zurückgehen. Nicht weit von hier wird’s gefährlich.«
    Olympio führte uns durch eine andere Straße zurück, während ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Ich fragte mich, was Reina de la Noche wohl übersetzt hieß. Aus den hintersten Ecken meines Gedächtnisses kramte ich ein paar vergleichbare lateinische Worte hervor: regina, noctu – Herrscherin der Nacht? Kein ganz unpassender Name für Santa Muerte.
    »Wie heilt dein Großvater eigentlich die Leute?«
    Olympio warf mir einen flüchtigen Blick zu. »Berufsgeheimnis.«
    »Wie jetzt?«
    »Jawohl. Du verfügst nicht über die don . Du könntest es nicht, auch wenn du es versuchen würdest.«
    »Und warum erklärst du es mir dann nicht?«
    Er seufzte melodramatisch. »Das würde viel zu lange dauern.«
    »Kannst du denn das tun, was er tut – oder angeblich tut?«, korrigierte ich mich schnell.
    »Manches davon.« Er hob einen Stein vom Gehweg auf und schleuderte ihn über die Straße. »Aber irgendwann werde ich der Beste auf der ganzen Welt sein.«
    Ich musterte die Umgebung, die Betonwüste unter der heißen Sonne. Hier konnte kaum etwas heranwachsen, und schon gar kein einzigartiger Wunderheiler. Olympio sah mir wohl an, was ich dachte, denn er reckte die Brust wie ein Gockel und musterte mich finster.
    Wenig später hatten wir die Klinik wieder erreicht. »Wie weit kann man denn in diese Richtung gehen?«, fragte ich, um es mir nicht völlig mit ihm zu verscherzen.
    Er bezog wieder seinen Posten vor dem Klinikeingang und drückte sich wie eine dunkle Wolke gegen die Mauer. Es war bestimmt nicht besonders lustig, den ganzen Sommer über jeden Tag so zu arbeiten.
    »Du solltest nur von der Hochbahn zur Klinik und wieder zurücklaufen.« Der sensible Junge, der sich über ein bisschen Aufmerksamkeit gefreut hatte, war zu einem klischeehaften Erwachsenen geworden, der Überdruss und verletzten Stolz ausstrahlte. Ich erinnerte mich an die Zeit, als ich in seinem Alter gewesen war, an die Qualen der Pubertät, wenn man nicht wusste, in welche Richtung es gehen sollte, hin-und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, von allen gemocht zu werden, und dieser ständigen Wut.
    »Hey, du kannst mich doch nicht einfach so abfertigen«, beschwerte ich mich.
    »Warum denn nicht? Ich kenne dich doch kaum.«
    Da hatte er wohl recht. Ich kannte ihn ja auch nicht. Aber ich kannte diesen Typ Mensch. Also zuckte ich mit den Schultern und meinte gelassen: »Irgendwie habe ich aber das Gefühl, wir könnten Freunde sein, wenn wir uns woanders begegnet wären.«
    Er kniff die Augen zusammen, und kurz

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