Diagnose zur Daemmerung
und zu seinem Glauben befragen, aber das ging sicher mit einem hohen Verletzungsrisiko einher, außerdem würde ich da wahrscheinlich auch keine besseren Antworten bekommen als von Olympio. Ich würde also abwarten und Dr. Tovar am nächsten Tag nach den Blutproben fragen müssen.
Es war schon irgendwie ironisch, dass ich mich verzweifelt an jeden Strohhalm klammerte, während meine Mutter bereits aufgegeben hatte. Dafür machte ich ihren Glauben an ein fröhliches Leben nach dem Tod verantwortlich.
Als ich die Klinik verließ, war Olympio nicht mehr da. Dafür hörte ich wieder dieses flüsternde Geräusch, das mich schon am Morgen so irritiert hatte. Ich schaute in beide Richtungen, überquerte die Straße und beugte mich über den Abfluss.
»Haben Sie etwas verloren?« Erschrocken fuhr ich zusammen. Es war Dr. Tovar, der gerade die Kliniktür abschloss. »Oder wollen Sie eine Waffe loswerden?« Mit steifen Schritten kam er über die Straße und vergrub die Hände in den Taschen. Sogar bei dieser Hitze trug er sein Tweedjackett.
»Ich dachte, ich hätte ein Geräusch gehört.«
Fragend zog er eine Augenbraue hoch. »Also, ich höre nichts.« Mit dem Kinn deutete er Richtung Haltestelle. »Sollen wir gehen?«
Auch wenn ein Arzt nicht mein bevorzugter Begleiter auf Spaziergängen war, konnte es nicht schaden, von ihm begleitet zu werden. Allerdings achtete ich sorgfältig darauf, genügend Abstand zu wahren, damit es nicht so aussah, als wäre da etwas zwischen uns. Trotzdem schnalzten die Frauen, die uns von den Zügen entgegenkamen, hörbar mit der Zunge, wenn sie uns passierten. Hätte ich ihnen doch irgendwie signalisieren können, dass ich keinerlei Interesse an ihm hatte und auch nie haben würde, ganz egal, wie gut er aussah! Niemals.
»Und, wie war der erste Tag?«, fragte er schließlich.
»Abgesehen vom Papierkram sehr interessant.«
»Freut mich, dass Franks Wunde Sie nicht vertrieben hat.«
»Werde ich jetzt jeden Tag so einem Härtetest unterzogen? Oder ist das einfach nur Ihre alltägliche Kundschaft?«, fragte ich scherzhaft.
Er lachte; das war vermutlich das erste Mal, dass ich ihn fröhlich erlebte. Kurz fragte ich mich, wie es wohl sein mochte, er zu sein: ein ständig im Sinken begriffenes Schiff zu steuern und jeden Tag aufs Neue mit aller Kraft das Wasser abzuschöpfen. Vielleicht hatten wir ja doch mehr gemeinsam, als ich bisher gedacht hatte.
»So alltäglich wie der Lauf der Sonne. Warum haben Sie sich wirklich für diesen Job beworben?« Noch bevor ich antworten konnte, warf er mir einen bohrenden Blick zu.
»Wenn Sie mir vorher gesagt hätten, dass das ein Verhör wird, wäre ich allein gegangen«, erwiderte ich mit einem deutlich aufgesetzten Grinsen. Er schnaubte amüsiert, woraufhin ich mich etwas entspannte. »Ich brauchte einfach Abwechslung. Nach meinem Job im County wollte ich es eine Zeit lang ruhig angehen lassen, und dafür schien die Schlafklinik ideal zu sein. Aber ruhig wird eben schnell langweilig.« Es gab keinen Grund, ihm irgendwelche Märchen aufzutischen, und von der tickenden Zeitbombe meiner Mutter musste er auch nichts erfahren. »Und warum arbeiten Sie hier?«, fragte ich stattdessen.
»Wenn nicht ich, wer dann?«, sagte er achselzuckend.
»Sind Sie hier aufgewachsen?«
»In der Nähe, ja.«
»Und wo wohnen Sie?«
Seine Lippen verzogen sich zu einem sanften Lächeln. »In der Nähe.«
»Wie viele Haltestellen?«, hakte ich schnell nach, bevor er mir ausweichen konnte.
»Hinter der Haltestelle. Ich nehme nicht die Hochbahn.«
»Oh.« Ich blieb am Ball, vielleicht war ich ja doch auf einer heißen Spur. »Leben Sie allein?«
Abrupt blieb er stehen und sah mich an. »Warum?«
»Weil die Leute uns anstarren.« Mit dem Kopf deutete ich nach hinten. »Entweder sind Sie Single und die ziehen ihre Schlüsse, oder Sie sind verheiratet und die befürchten das Schlimmste.«
Es sah so aus, als hätte er gerne die Augen verdreht. »Ich lebe allein. Und Sie?« Sein Tonfall machte deutlich, dass er aus reiner Höflichkeit fragte. Doch meiner Erfahrung nach stellten Männer solche Fragen nur, wenn sie auch an der Antwort interessiert waren.
»Ich habe eine liebesbedürftige Siamkatze«, erklärte ich und versuchte, es möglichst niedlich klingen zu lassen. Natürlich war er für mich völlig uninteressant, aber wenn sich die Gelegenheit schon bot, konnte ich auch mal flirten. »Habe Sie den Vorfall von gestern nun eigentlich gemeldet?«
Er lachte leise. »So
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