Diagnose zur Daemmerung
Gewohnheit. Wo zum Teufel steckte Dren? Ich hatte den Pinsel falsch gepackt und drückte ihn zu fest an die Wand, sodass er mir aus den Fingern glitt. Wie der letzte Trottel versuchte ich, ihn aufzufangen, was in einer noch größeren Schweinerei endete.
Catrina wich geschickt der herumspritzenden Farbe aus und schnalzte höhnisch mit der Zunge. »Ich weiß wirklich nicht, warum er sich so für dich einsetzt. Du bist die reinste Zeitverschwendung.«
Sicher spielte sie darauf an, dass ich die ganze Woche über immer wieder einen der Pflegehelfer – meistens Eduardo, weil er netter war als die anderen – hatte bitten müssen, für mich zu übersetzen. Ich hob meinen Pinsel auf und wollte mich gerade bei ihr entschuldigen, als sie fortfuhr: »Du hast es nicht mal geschafft, gestern Abend zu Hause zu bleiben und dich auszuruhen, damit du heute fit bist. Und das, obwohl du zwei Stunden länger schlafen konntest als alle anderen. Nein, du musst ausgehen und feiern, und jetzt bist du völlig nutzlos. Nicht mal eine Wand anmalen kannst du.«
Bevor ich ihr widersprechen konnte, stiefelte sie schon zu ihrem Platz an der Wand zurück. Während sie ihren Pinsel fachmännisch auf und ab bewegte, sah ich wieder dieses seltsame Tattoo auf dem Ringfinger ihrer rechten Hand.
»Er … setzt sich für mich ein?« Die Frage war zwar eher an mich selbst als an sie gerichtet, trotzdem wirbelte sie wieder herum und antwortete leise: »Er versucht wohl eher, einen Grund zu finden, warum er dich überhaupt beschäftigt.« Die weißen Farbspritzer lagen wie Schneeflocken auf ihren kurzen schwarzen Haaren. »Komm bloß nicht auf dumme Ideen«, warnte sie mich und drohte mir mit ihrem Pinsel.
Ich seufzte schwer. »Aber ich versuche doch, mich anzupassen, ehrlich.«
Ihr Gesicht verzog sich zu einer enttäuschten Grimasse. »Dann streng dich mehr an«, sagte sie nur und widmete sich wieder ihrem Wandabschnitt.
Mittags trug ich gerade die erste Farbschicht auf das letzte noch sichtbare Kreuz auf, als Hector Essenstüten und Bier anschleppte. Die Helfer fanden sich in Gruppen zusammen, als würde jeder jeden kennen, was wohl auch so war. Völlig befangen nahm ich mir einen Burrito und schlich nach draußen.
Olympio hatte es sich mit einer Tüte Chips und einem Kaffeebecher aus dem Laden, aus dem auch unser Essen stammte, auf den Stufen gemütlich gemacht. »Hat Hector dich eingespannt?«, fragte ich ihn.
»Allerdings. Seid ihr fertig?«, fragte er mit einem Blick über die Schulter.
»So gut wie.« Ich setzte mich neben ihn. »Du hättest auch reinkommen und uns helfen können, weißt du.«
»Ich kann da nicht reingehen. Meine don würde darunter leiden.«
»Was ist das eigentlich?«
»Meine Gabe, die mich zum curandero macht.« Er untermalte die Erklärung mit einer pompösen Geste.
»Klar, dann geht das nicht.« Ich drehte mich um und musterte die Fassade der Klinik. Hier draußen war die Deckkraft der Farbe nicht so stark wie drinnen. Da mussten noch mindestens zwei Lagen drüber. »Montag läuft hier wahrscheinlich alles wieder normal. Was auch immer normal ist.«
Olympio sah mich mit schräg gelegtem Kopf an. »Das mit dem Geist habe ich ernst gemeint. Du klingst bedrückt, mija .«
»Und was geht dich das an, mijo ?«, konterte ich.
Er zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
»Ganz recht, ich kenne drei spanische Ausdrücke. Die beiden anderen sind allerdings Schimpfwörter.«
Grinsend schob sich Olympio eine Handvoll Chips in den Mund. »Ich könnte dir noch mehr beibringen.«
»Schimpfwörter?« Ich lachte laut auf und steckte ihn damit an. Das tat wirklich gut.
»Mehr Spanisch, keine Schimpfwörter«, präzisierte er.
»Gerne«, nickte ich. »Das wäre hilfreich.«
»Gegen eine kleine Gebühr, versteht sich.«
»Natürlich.« Ich nahm einen Bissen von meinem Burrito und kaute nachdenklich darauf herum.
»Kannst du mir jetzt etwas über die Vampire erzählen?«
Mir entfuhr ein schwerer Seufzer. Ich hätte wirklich besser aufpassen müssen, was ich sagte. »Sie sind so ähnlich wie die im Fernsehen oder in Büchern. Und wahrscheinlich wirst du niemals einem begegnen. Ende der Geschichte.«
Olympio verzog enttäuscht das Gesicht. »Du musst mir schon mehr verraten. Wie viele gibt es? Wo hast du sie gesehen? Haben sie dich gebissen?«
Ich kniff die Lippen zusammen, bevor ich antwortete: »Es gibt eine ganze Menge von ihnen, mehr als dir lieb sein dürfte. Und ich habe sie dort gesehen, wo ich früher gearbeitet habe,
Weitere Kostenlose Bücher