Diagnose zur Daemmerung
schob den curandero von sich.
»Ti, nein!« Ich stürzte los; sollte Ti die Hand gegen ihn erheben, würde ich mich dazwischenwerfen. Das hatte Olympios Großvater nicht verdient.
Die geschwärzten Eier brachen auf, und etwas Schwarzes wand sich aus ihnen hervor und quoll über die flachen Metallränder. Es sah aus als, würden unzählige, aus Rauch geformte Schlangen aus den gesprungenen Kalkschalen kriechen und auf Tis Beine zuhalten. Ich versuchte, sie durch Tritte zu verscheuchen. Ihre Berührung brannte auf der Haut, und sie bissen mich; wie winzige Vipern schlugen sie wieder und wieder ihre kleinen, schwarzen Zähne in meinen Knöchel. Der curandero rührte sich nicht vom Fleck, sondern drückte weiter das letzte Ei gegen Tis Stirn. Der blinzelte, als würde er benommen zum Leben erwachen.
»Ti«, flüsterte ich.
Meine Beine brannten wie Feuer, ich spürte die Bisse sogar durch meine Schuhe hindurch. Ich hatte keine Ahnung, ob diese Schlangen giftig waren. Gesund war das sicher nicht, aber ich konnte Ti nicht im Stich lassen.
Er verlagerte das Gewicht und hob ein Bein, als wollte er von dem Kreuz aus Alufolie heruntertreten.
»Nein, Ti, nicht!«
Ich schob mich so dicht wie möglich an ihn heran. Sein Fuß landete auf dem Teppich neben der Folie.
»Ti … du erkennst mich. Deswegen hast du mir letzte Nacht auch nichts getan.« Ich streckte die Hand nach ihm aus, und zwischen uns entlud sich ein statischer Blitz. Hastig packte ich sein Handgelenk. Es pulsierte und zitterte wie bei einem dieser Jahrmarktsspiele, wo sie angeblich die Liebesenergie testen.
Was eigentlich gar nicht so falsch war, oder? Auch wenn unsere Geschichte der Vergangenheit angehörte: Früher war da etwas zwischen uns gewesen. Jetzt war es nicht mehr spürbar, aber auch nicht völlig ausgelöscht. Niemals würde ich ihn loslassen.
»Ich weiß, dass du dich an mich erinnerst.«
Mit dem freien Arm holte er aus und fegte den curandero von sich weg, sodass er mitsamt seiner Krücken umfiel. Selbst jetzt betete Olympios Großvater weiter, doch das geschwärzte Ei zerbrach, als es auf dem Boden aufschlug. Ich nahm seinen Platz ein und baute mich direkt vor Ti auf. Nur meinetwegen war er hier, da konnte ich ihn doch nicht aufgeben!
»Ich weiß, dass du mich hören kannst, Ti. Du bist irgendwo da drin.« Seine braunen Augen durchbohrten mich fast. Vorsichtig hob ich meine freie Hand und legte sie an seine Wange – dieselbe Geste, mit der er sich von mir verabschiedet hatte. Wieder entlud sich ein elektrischer Funke, als würde durch die Berührung unserer Körper ein Stromkreis geschlossen. »Komm zu mir zurück.«
In diesem Moment flog die Zimmertür auf, und Luz stürmte herein. Sie hatte die Fangzähne entblößt und bewegte sich so überirdisch schnell, wie nur Vampire es können.
»Lügnerin!«, kreischte sie und wollte sich auf mich stürzen.
Ti entzog mir seinen Arm und schlug zu, woraufhin Luz quer durch das Zimmer flog und nur von der Wand gebremst wurde.
Fassungslos blickte sie auf ihren Brustkorb hinunter, der durch die Wucht ihres Angriffs und Tis brutale Reaktion eingedrückt war. Mit einem ekelhaften Knacken fügten sich ihre Rippen wieder zusammen.
»Rühr Edie nicht an«, befahl Ti, dann brach er zusammen. Im letzten Moment fing ich ihn auf.
Kapitel 36
Luz sprang auf und deutete mit dem Kinn auf Ti. »Was ist das?«
» Er ist ein Zombie«, erklärte ich, während ich versuchte, ihn wieder aufzurichten. Vorsichtshalber stellte ich mich so, dass sich sein Körper zwischen mir und Luz befand. Ihre Verletzung änderte nichts daran, dass sie stinksauer und verdammt schnell war. »Was ist passiert? Warum bist du hier?«
»Ich bin da reingegangen, aber ich habe nichts gefunden! Keinen einzigen Knochen«
»Du hast also nicht auf Hector oder mich gewartet?«
»Catrina hat es mir ausgerichtet, aber ich habe genug Zeit vergeudet!« Sie rammte ihre Faust gegen die Wand, was eine leichte Erschütterung auslöste.
Ich wollte sie nicht fragen, ob Adriana tot war. Denn falls es so war, würde das für den Rest meines Lebens mein Gewissen belasten. »Was hast du vorgefunden?«
»Das Haus war komplett ausgeräumt. Ich konnte das Blut riechen. Und ich habe gerochen, dass sie sich dort befunden hatte. Aber weder sie noch sonst irgendjemand war noch da.« Luz klang extrem verwirrt. »Keine Ahnung, wie sie mich vorher davon abgehalten haben, sie zu finden … Als Adriana verschwand, habe ich in dem Gebäude als Erstes
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