Diamantene Kutsche
höchstpersönlich.«
Von links kamen gemächlich zwei Personen über den Rasen: ein hochgewachsener Gentleman mit entblößtem Haupt und eine schlanke Dame.
Der Mann warf einen flüchtigen Blick auf die Gäste, die in ihren Gefährten warteten, und ging mit seiner Begleiterin auf die Treppe zu. Er war ein durchaus eindrucksvoller Herr: üppiges feuerrotes Haar, ein Backenbart über das halbe Gesicht, ein scharfer (ja, raubtierhafter) Blick und eine Narbe von einem Säbelhieb auf der Wange.
»Was ist denn an ihm so ehrenwert, an diesem Bullcocks?« fragte Fandorin erstaunt.
Doronin lachte spöttisch. »Nichts. Ich meinte seinen Titel, right honourable. Bullcocks ist der jüngste Sohn des Herzogs von Bradford. Einer der ehrgeizigen jungen Männer, die als ›Hoffnung des Empire‹ bezeichnet werden. Hat sich in Indien glänzend bewährt und will nun den Fernen Osten erobern. Und ich fürchte, er wird es schaffen.« Doronin seufzte. »Die Kräfte sind sehr ungleich verteilt zwischen uns und den Briten– bei der Marine ebenso wie in der Diplomatie.«
Der Konsul fing einen Blick des »Ehrenwerten« auf und verbeugte sich. Der Brite neigte leicht den Kopf und wandte sich ab.
»Noch grüßen wir uns«, kommentierte Doronin. »Aber wenn es Gott behüte zum Krieg kommen sollte, dann ist von ihm alles zu erwarten. Er gehört zu den Leuten, die sich nicht an Spielregeln halten und jede Aufgabe als lösbar betrachten.«
Der Konsul sagte noch etwas über den hinterhältigen Vertreter des Albion, doch in diesem Augenblick widerfuhr Fandorin etwas Seltsames – er hörte die Stimme seines Vorgesetzten und nickte dazu, ohne jedoch den Sinn des Gesagten zu verstehen. Ausgelöst wurde dieses Phänomen durch einen unerheblichen, ja nichtigen Anlaß. Die Begleiterin des Briten, die Fandorin bislang gar nicht beachtet hatte, drehte sich plötzlich um.
Mehr nicht. Sie drehte sich nur um, sonst nichts. Doch in diesem Augenblick ertönte in Fandorins Ohren ein silbriges Klingen, der Verstand büßte die Fähigkeit ein, Worte zu verstehen, und mit seinem Sehvermögen geschah überhaupt Unerhörtes: Die Welt schrumpfte zusammen, so daß die gesamte Peripherie im Dunkeln lag und nur ein kleiner Kreis übrigblieb – der aber dafür so klar und deutlich, daß jedes Detail darin zu strahlen schien. Genau in diesem magischen Kreis befand sich das Gesicht der Unbekannten. Oder vielleicht war es auch umgekehrt: Das Leuchten, das von diesem Gesicht ausging, war so stark, daß alles ringsum sich plötzlich verdunkelte.
Mit einiger Anstrengung löste sich Fandorin kurz von dem unglaublichen Anblick und wandte sich zum Konsul – bemerkte der denn gar nichts? Aber Doronin bewegte noch immer unbeeindruckt die Lippen, gab unverständliche Laute von sich und schien nichts Außergewöhnliches wahrzunehmen. Also eine optische Täuschung, sagte der Verstand Fandorin, der es gewohnt war, alles vom rationalen Standpunkt aus zu betrachten.
Noch nie hatte der Anblick einer Frau, mochte sie auch noch so schön sein, auf Fandorin eine derartige Wirkung gehabt. Er klapperte mit den Lidern, kniff die Augen zusammen, öffnete sie wieder – und Gott sei Dank, der Spuk war verschwunden. Fandorin sah eine junge Japanerin – eine seltene Schönheit, gewiß, jedoch kein Trugbild, sondern eine lebendige Frau aus Fleisch und Blut. Sie war ziemlich groß für eine Japanerin, hatte einen geschmeidigenHals und entblößte Schultern, eine leicht höckrige Nase, einen kleinen Mund mit vollen Lippen und apart geschnittene schräge Augen. Nun lächelte die Schöne über etwas, das ihr Kavalier gesagt hatte, und entblößte die Zähne – sie waren zum Glück vollkommen ebenmäßig. Das einzige, was aus europäischer Sicht als ernstlicher Makel gelten konnte, waren ihre entzückenden, aber deutlich abstehenden Ohren, die ihre hohe Frisur unbekümmert preisgab. Doch diese ärgerliche Laune der Natur verdarb den Gesamteindruck keineswegs. Fandorin erinnerte sich an Doronins Worte, daß abstehende Ohren in Japan als Zeichen für Sinnlichkeit galten, und mußte zugeben: Die Japaner hatten recht.
Doch das Beeindruckendste an dieser Frau waren nicht ihre Gesichtszüge, sondern die Lebendigkeit, von der sie erfüllt waren, und ihre graziösen Bewegungen. Das wurde deutlich, als die Japanerin nach dem winzigen Zögern, das Fandorin Gelegenheit zu so eingehender Betrachtung gegeben hatte, die Hand hob und sich das Ende ihres Pelzkragens über die Schulter warf. Bei dieser
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