Diamantene Kutsche
Gespräch zu viert kam nicht zustande. Der Engländer nickte Fandorin, den der Konsul ihm vorgestellt hatte, kühl zu, erklärte, er werde von einer Dame erwartet, entfernte sich und überließ die Russen sich selbst.
Der Händedruck des Marineattachés mißfiel Fandorin – was war das für eine Manier, einem nur die Fingerspitzen zu reichen? Mstislaw Nikolajewitsch hielt offenkundig auf Distanz und wollte von Anfang an demonstrieren, wer hier das Sagen hatte.
»Dieser widerliche Engländer«, zischte Bucharzew und sah Bullcocks mit zusammengekniffenen Augen nach. »Wie kann er es wagen! ›Sie sollten nicht vergessen, daß Rußland bereits seit zwanzig Jahren keine Großmacht mehr ist!‹ Wie finden Sie das? Ich darauf:›Wir haben gerade das Osmanische Reich besiegt, und Sie werden mit den armseligen Afghanen nicht fertig!‹«
»Gut pariert«, lobte Doronin. »Was hat er darauf gesagt?«
»Wollte mich belehren. ›Sie sind doch ein zivilisierter Mensch. Ist Ihnen nicht klar, daß die Welt nur gewinnen würde, wenn sie auf britische Weise zu leben lernte?‹«
Diese Worte machten Fandorin nachdenklich. Womöglich hatte der Engländer recht? Wenn man schon die Wahl hatte, wie die Welt existieren sollte – auf britische Art oder auf russische … Doch Fandorin rief sich zur Ordnung. Erstens wegen mangelnden Patriotismus’ und zweitens wegen der falschen Fragestellung. Zunächst einmal galt es, zu entscheiden, ob es überhaupt wünschenswert wäre, daß die ganze Welt nach einem einheitlichen Muster lebte, und sei es noch so wunderbar.
Während er über diese schwierige Frage nachsann, hörte er zugleich zu, wie Doronin dem Marineattaché halblaut von den unheilvollen Passagieren des Kapitäns Blagolepow erzählte.
»Blödsinn.« Bucharzew verzog das Gesicht, wurde aber nach kurzem Überlegen lebhaft. »Aber egal. Zumindest können wir dem Minister demonstrieren, wie sehr seine Sicherheit Rußland am Herzen liegt. Damit er weiß, daß wir seine wahren Freunde sind, nicht die Engländer.«
Indessen stürzte der Hausherr, mit seinem auffälligen Fes gut auszumachen, zur Tür, wo Bewegung entstanden war: Manche Gäste liefen vor, andere hingegen wichen respektvoll zurück, und ein Japaner in einem bescheidenen grauen Gehrock betrat gemächlich den Saal. Auf der Schwelle blieb er stehen und begrüßte die Anwesenden mit einer eleganten Verbeugung. Sein kluges, schmales Gesicht, umrahmt von einem herabhängenden Schnauzbart, erstrahlte in einem angenehmen Lächeln.
»Da ist ja auch unser Bonaparte, wie aufs Stichwort«, sagte der Konsul zu Fandorin. »Kommen Sie, gehen wir näher heran.«
Hinter dem Minister drängten sich seine Begleiter, im Gegensatz zu dem großen Mann in prächtige Uniformen gehüllt. Fandorin kam der Gedanke, daß Okubo wohl tatsächlich dem Korsen nacheiferte. Auch der hatte sich gern mit goldgeschmückten Pfauen umgeben, während er selbst im grauen Gehrock und mit abgewetztem Dreispitz herumlief. Das war der höchste Chic wahrer, von sich überzeugter Macht.
»Nun, guten Tag, alter Gauner. Guten Tag, schlitzäugiger Danton.« Der Minister drückte dem Gastgeber fröhlich lachend die Hand.
»Auch Ihnen einen guten Tag, Euer nicht minder schlitzäugige Exzellenz«, ging Tsurumaki auf seinen Ton ein.
Fandorin war verblüfft über den familiären Ton der beiden. Unwillkürlich blickte er sich zu Doronin um. Der flüsterte, wobei er nur die Mundwinkel bewegte: »Sie sind alte Kampfgefährten, noch aus der Zeit vor der Revolution. Und das ›schlitzäugig‹, das ist Theater für die Europäer, sie reden nicht umsonst englisch.«
»Und warum ›Danton‹?« fragte Fandorin. Doch diese Frage mußte ihm der Konsul nicht beantworten, das tat Tsurumaki selbst.
»Passen Sie nur auf, Exzellenz, wenn Sie sich weiter so an die Macht klammern, dann werden sich auch für Sie Dantons und Robespierres finden. Alle zivilisierten Länder haben eine Verfassung, ein Parlament, und wir in Japan? Die absolute Monarchie ist ein Hemmnis für den Fortschritt, das müssen Sie doch begreifen!«
Don lächelte zwar, aber es war deutlich, daß nur der Ton scherzhaft gemeint war.
»Ein Parlament ist für euch Asiaten noch zu früh.« Der Minister ließ sich nicht auf ein ernsthaftes Gespräch ein. »Ihr braucht erst einmal Aufklärung, dann werden wir weitersehen.«
»Verstehen Sie jetzt, warum Rußland Okubo so schätzt?« Doronin konnte sich dieser ketzerischen Spitze nicht enthalten, äußerte sie aber
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