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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Cancan!«
    Die Tänzerinnen warfen die Beine nicht sehr hoch, zudem waren ihre Glieder ein wenig kurz, aber die Zuschauer waren dennoch hingerissen. Die berühmte Pariser Attraktion war in Japan vermutlich noch neu – die Überraschung war offenkundig gelungen.
    Fandorin sah, daß Obayashi wie gebannt auf den Cancanstarrte – sie war ganz rot und hielt sich die Hand vor den Mund. Auch die übrigen Damen wandten kein Auge von der Bühne.
    Fandorin blickte sich nach O-Yumi um.
    Sie stand neben ihrem Briten, wedelte mit ihrem Fächer den rasenden Takt mit und bewegte leicht ihr wie gedrechseltes Köpfchen, um keine Bewegung der Tänzerinnen zu verpassen. Unvermittelt tat sie etwas, das außer Fandorin wohl kaum jemand bemerkte – alle waren zu sehr gefesselt vom Cancan. O-Yumi hob ihren Rocksaum und warf ihr seidenbestrumpftes Bein hoch, über den Kopf – da konnten die Tänzerinnen nicht mithalten. Ihr Bein war lang und schlank, und sie schwang es so energisch, daß ihr der silberne Schuh vom Fuß flog. Der ephemere Gegenstand vollführte einen blitzenden Salto und wurde im Fallen geschickt von Bullcocks aufgefangen. Der Engländer und seine Freundin lachten, dann kniete der »Ehrenwerte« nieder, nahm den entblößten Fuß in seine Hand, hielt die schmale Wade ein wenig länger als nötig fest und schob den Schuh wieder an seinen Platz.
    Von einem heftigen, durchdringenden Schmerz erfüllt, wandte Fandorin sich ab.
     
    Bei einer wahren
    Schönheit sind selbst die Schuhe
    Fähig zu fliegen.

Der erste Sonnenstrahl
    Tief in der Nacht, am Ende dieses endlos langen Tages, saß Fandorin im Büro des Chefs der Munizipalpolizei. Sie warteten auf das dritte Mitglied der Ermittlergruppe, einen einheimischen Inspektor. Einstweilen tranken sie starken schwarzen Kaffee und beäugten einander.
    Sergeant Walter Lockstone war vor nicht allzu langer Zeit Ordnungshüter in einem Viehzüchterstädtchen im amerikanischen Wilden Westen gewesen und hatte die Manieren dieser unzivilisierten Gegend beibehalten.
    Die Beine auf dem Tisch, kippelte er mit seinem Stuhl; seine Uniformmütze saß wie ein Cowboyhut fast auf der Nasenspitze, in seinem Mundwinkel hing eine erloschene Zigarre, an seinem Gürtel baumelten zwei gewaltige Revolver.
    Der Polizeichef redete ununterbrochen, scherzte und zeigte sich nach Kräften als fideles Haus, doch Fandorin gelangte immer mehr zu der Ansicht, daß Lockstone nicht so simpel war, wie er tat.
    »Eine schöne Karriere hab ich gemacht, Sie werden es nicht glauben«, erzählte er, wobei er die Vokale erbarmungslos dehnte. »Normale Menschen werden vom Sergeant zum Marshall befördert, bei mir dagegen ist alles total verquer. In dem Nest, wo auf fünfhundert Einwohner fünftausend Kühe kamen und der Diebstahl von fünfundsechzig Dollar auf der Post als das Verbrechen des Jahrhunderts galt, da war ich ›Marshall‹. Und hier in Yokohama, wo fast zehntausend Menschen leben, die Unmasse Schlitzaugen nicht mitgerechnet, hier bin ich nur Sergeant. Dabei ist mein Stellvertreter Lieutenant. Ist das nicht zum Lachen? So ist das hier nun mal üblich. Sergeant, ha! Wenn ich nach Hause schreibe, muß ich schwindeln, da unterschreibe ich mit ›Captain Lockstone‹. Denn eigentlich müßte ich Captain sein. Sergeant – das sind eure europäischen Spinnereien. Sagen Sie, Rusty, gibt es bei euch in Rußland Sergeants?«
    »Nein«, antwortete Fandorin, der sich bereits mit dem schrecklichen »Rusty« abgefunden hatte, das zum einen entstanden war, weil Lockstone den Namen »Erast« nicht aussprechen konnte, zum anderen wegen Fandorins grauer Schläfen. Ihn ärgerte nur die Hartnäckigkeit, mit der sein Gegenüber dem eigentlichen Gespräch auswich. »Sergeants gibt es bei unserer Polizei nicht. Walter,ich habe Sie gefragt: Was w-wissen Sie über das Etablissement ›Rakuen‹?«
    Lockstone nahm die Zigarre aus dem Mund und spuckte braunen Speichel in den Papierkorb. Er sah den Russen aus seinen wäßrigen, leicht hervorquellenden Augen an und schien zu begreifen, daß der nicht lockerlassen würde. Er verzog das kupferrote Gesicht und sagte widerwillig: »Wissen Sie, Rusty, das ›Rakuen‹ liegt auf der anderen Seite vom Fluß, und die gehört nicht zum Settlement. Das heißt, juristisch ist es natürlich unser Gebiet, aber dort wohnen keine Weißen, nur Gelbhäute. Darum halten wir uns da gewöhnlich raus. Es kommt vor, daß die Japsen sich gegenseitig abstechen, mehr als genug. Aber solange sie keinen Weißen

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