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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Geschichte.
    Dreimal schickte Nobunaga Truppen, um die Provinz Iga zu erobern. Die ersten beiden Male besiegten die zahlenmäßig unterlegenen Ninja die Samurai. Sie überfielen in der Nacht deren Lager, legten Brände und säten Panik: Sie vernichteten die besten Kommandeure, zogen die Uniformen des Feindes an und provozierten blutige Zusammenstöße zwischen einzelnen Truppenteilen der eingedrungenen Armee. Tausende Soldaten starben in den Schluchten und auf Gebirgspässen.
    Schließlich riß Nobunaga die Geduld. Im neunten Jahr der Himmlischen Gerechtigkeit, also im Jahre 1581 nach christlichem Kalender, zog der Diktator mit einem riesigen Herr nach Iga, das der Bevölkerung des Tals um ein Vielfaches überlegen war. DieSamurai vernichteten alles Lebendige: nicht nur Frauen und Kinder, sondern auch Haus- und Wildtiere, selbst Eidechsen, Mäuse und Schlangen – sie fürchteten, das seien verwandelte Shinobi. Am schlimmsten war, daß die Eroberer unterstützt wurden von den Ninja der Nachbarprovinz Koga, den Koga-Ninja. Sie erst sicherten Nobunaga den Sieg, denn sie kannten alle Listen und Kniffe der Schattenkrieger.
    Momoti Tamba und der Rest seiner Truppe verschanzten sich in einem alten Tempel auf dem Hidjiyama. Sie kämpften, bis alle von Pfeilen oder im Feuer umgekommen waren. Die letzten Schattenkrieger schlitzten sich die Kehle auf, nachdem sie sich das Gesicht ›abgeschnitten‹ hatten.
    Mit dem Tod Tambas und seiner Leute endet die Geschichte der Shinobi im Grunde. Die Koga-Ninja, die den Eroberern geholfen hatten, wurden zur Belohnung zu Samurai ernannt und dienten später als Wächter am Shogunhof. Die Kriege waren vorbei, zweieinhalb Jahrhunderte herrschte im Land Frieden, und das Handwerk der Shinobi wurde nicht mehr gebraucht. Bei ihrem satten, müßigen Dienst büßten die einstigen Meister geheimer Künste im Laufe der Generationen ihre Fähigkeiten ein. Während des letzten Shogunats, vor der Revolution, bewachten die Schattenkrieger die Frauengemächer. Sie wurden fett und faul. Das wichtigste Ereignis in ihrem Leben war nun der Schneefall.«
    »Was?« fragte Fandorin, der glaubte, sich verhört zu haben.
    »Ja, ja.« Der Doktor lachte. »Ganz gewöhnlicher Schnee, der in Tokio übrigens nicht jedes Jahr fällt. Wenn zu Neujahr Schnee fiel, wurde im Palast eine traditionelle Vergnügung veranstaltet: Die Dienerinnen teilten sich in zwei Gruppen auf und bewarfen einander mit Schneebällen. Die beiden aufgeregt kreischenden Mannschaften – die eine in weißen Kimonos, die andere in roten – lieferten sich zum Vergnügen der Shoguns und der Höflinge eine fröhliche Schlacht. In der Mitte, zwischen den beiden Armeen,stand eine Kette aus Ninja in schwarzen Uniformen. Natürlich flogen die meisten Schneebälle in deren vom jahrhundertelangen Nichtstun verblödete Physiognomien, und die Zuschauer kugelten sich vor Lachen. Tja, das war das ruhmlose Ende einer Sekte furchteinflößender Mörder.«
     
    Umgeblättert nun
    Eine weitere Seite.
    Schnee zum Neuen Jahr.

Ein dampfender Schimmel
    Doch diese Einwände überzeugten Fandorin nicht.
    »Ich bin es g-gewohnt, Fakten zu vertrauen. Und die sprechen dafür, daß die Shinobi nicht verschwunden sind. Einer eurer verfetteten Müßiggänger hat die Geheimnisse dieses grausigen Handwerks offenbar doch über die Jahrhunderte gerettet.«
    »Das ist unmöglich.« Asagawa schüttelte den Kopf. »Als die Shinobi Palastwächter wurden, haben sie den Samurairang erhalten und sich damit verpflichtet, nach den Gesetzen des Bushido zu leben, des ritterlichen Ehrenkodexes. Sie sind nicht ›verblödet‹, sie haben sich einfach losgesagt vom niederträchtigen Arsenal ihrer Väter – von Wortbruch, Betrug, hinterhältigem Mord. Kein Vasall des Shogun hätte derartig schändliche Fähigkeiten heimlich bewahrt und an seine Kinder weitergegeben. Ich rate Ihnen mit allem Respekt, diese Hypothese fallenzulassen, Herr Vizekonsul.«
    »Vielleicht ist es ja gar kein Nachkomme der mittelalterlichen Ninja?« rief der Doktor. »Sondern ein Autodidakt? Es existieren doch Schriften mit genauen Beschreibungen der Ninja, ihrer Waffen und geheimen Tränke! Ich selbst habe den ›Bericht über die Geheimnisse der Schattenkrieger‹ gelesen, die ein gewisser Kienobuaus dem berühmten Geschlecht der Shinobi im siebzehnten Jahrhundert verfaßt hat. Zur selben Zeit erschien auch die zweiundzwanzigbändige Ausgabe ›Zehntausend Flüsse münden ins Meer‹, herausgegeben von Fujibayashi

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