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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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ausweglose Lage und ihm drohte die Gefangenschaft, verstümmelte er zuvor sein Gesicht – das durften seine Feinde nicht einmal nach seinem Tod sehen. Es gab einmal einen berühmten Shinobi, er wurde Sarutobi genannt, Affensprung, weil er springen konnte wie ein Äffchen. Er schlief auf Bäumen, sprang mühelos über Speere, die auf ihn gerichtet waren, und dergleichen mehr. Eines Tages geriet er beim Sprung von der Mauer eines Shogunschlosses, wo er spioniert hatte, in ein Fangeisen. Schwerter schwingend rannte die Wache auf ihn zu. Da hackte der Ninja sich den Fuß ab, band die Wunde in Windeseile ab und hüpfte auf einem Bein davon. Als er begriff, daß er nicht entkommen konnte, drehte er sich zu seinen Verfolgern um, beschimpfte sie noch ein letztes Mal mit übelsten Ausdrücken und durchbohrte sich mit dem Schwert die Kehle, zuvor aber ›schnitt er sich das Gesicht ab‹, wie es in der Chronik heißt.«
    »Was bedeutet das – ›sich das Gesicht abschneiden‹?« fragte Fandorin.
    »Das ist nicht genau bekannt. Vermutlich ein bildlicher Ausdruck, der bedeutet: ›zerschneiden‹, ›entstellen‹, ›unkenntlich machen‹.«
    »Und was sagten Sie über d-die Schlange? Mamushi-gama, wenn ich nicht irre?«
    »Ja. Die Schattenkrieger waren berühmt für ihr Geschick, Tiere für ihre Zwecke einzusetzen: Brieftauben, Jagdfalken, sogar Spinnen,Frösche und Schlangen. Daher rühren auch die Legenden, daß sie sich angeblich in jedes beliebige Geschöpf verwandeln können. Besonders häufig trugen die Shinobi Vipern bei sich, von denen sie selbst nie gebissen wurden. Die Schlange eignete sich zum Beispiel, um jemanden einzuschläfern – der Ninja preßte einige Tropfen Gift aus ihr heraus und steckte sie seinem Feind ins Bett. Die sogenannte ›Schlangensense‹ diente zur Einschüchterung – eine Mamushi wurde an einen Sensengriff gebunden, und wenn ein Ninja diese exotische Waffe schwang, konnte er eine ganze Menschenmenge in Panik versetzen und so im Gedränge untertauchen.«
    »Das paßt! Es paßt alles!« sagte Fandorin aufgeregt und sprang auf. »Der Kapitän wurde von einem Ninja getötet, der seine g-geheime Kunst benutzt hat! Und ich habe diesen Mann gestern gesehen! Jetzt wissen wir, nach wem wir suchen müssen! Nach einem alten Shinobi, der mit den Satsuma-Samurai in Verbindung steht!«
    Der Doktor und der Inspektor sahen sich an, wobei Twiggs leicht verlegen wirkte, der Japaner dagegen wie mit sanftem Vorwurf den Kopf schüttelte.
    »Mister Twiggs hat uns einen interessanten Vortrag gehalten«, sagte Asagawa langsam, »dabei aber ein wichtiges Detail nicht erwähnt. Die hinterhältigen Shinobi gibt es seit dreihundert Jahren nicht mehr.«
    »Das ist wahr.« Der Arzt lächelte schuldbewußt. »Das hätte ich vielleicht von Anfang an sagen müssen, um niemanden in die Irre zu führen.«
    »W-wo sind sie denn geblieben?«
    Aus Fandorins Stimme klang unverhohlene Enttäuschung.
    »Ich muß wohl meinen ›Vortrag‹, wie sich der Inspektor ausdrückte, zu Ende bringen.« Der Doktor legte eine Hand auf die Brust, als wolle er Asagawa um Verzeihung bitten. »Vor dreihundert Jahren lebten die Schattenkrieger in zwei Tälern, die durch einen Bergrücken voneinander getrennt waren. Dem Hauptclangehörte das Iga-Tal, daher auch ihr Name: Iga-Ninja. Dreiundfünfzig Familien traditioneller Spione beherrschten die kleine Provinz, die von allen Seiten von steilen Felsen umschlossen war. Die Schattenkrieger hatten eine Art Republik, an deren Spitze ein gewählter Jonin stand. Der letzte Herrscher hieß Momoti Tamba, über ihn kursierten schon zu seinen Lebzeiten Legenden. Der Kaiser schenkte ihm ein Ehrenwappen, auf dem sieben Monde und ein Pfeil abgebildet waren. Die Chronik berichtet, eine böse Zauberin sei wütend gewesen auf Kioto und habe es mit einem Fluch belegt: Über der kaiserlichen Hauptstadt gingen sieben Monde auf, und die Einwohner zitterten vor Angst, entsetzt ob dieser schaurigen Heimsuchung. Der Kaiser rief Tamba zu Hilfe. Der warf einen Blick zum Himmel, schoß seinen Pfeil ab und traf genau den Mond, in den sich die Zauberin verwandelt hatte. Sie wurde getötet, das Trugbild verschwand. Gott allein weiß, was damals tatsächlich geschehen ist, doch diese und ähnliche Legenden über Tamba belegen seinen in der Tat legendären Ruf. Zu seinem Unglück verkrachte sich der mächtige Jonin mit einem noch mächtigeren Mann – dem großen Diktator Nobunaga. Und das ist kein Märchen, sondern

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