Diamantene Kutsche
Fandorin, was er jedoch sogleich bedauerte – die Lippen des unerträglichen Japaners erbebten in kaum merklichem Spott, als wollte er sagen: Ich wußte doch, daß Sie vom selben Kaliber sind, Sie spielen nur den Wohlerzogenen.
»Ich spreche. Ich ziehe es nicht in die Länge.« Eine höfliche Neigung des Kopfes. »Die drei Unbekannten verließen den Godaún ohne Waffen. Meinem bescheidenen Verständnis nach bedeutet das zwei Dinge. Erstens, sie beabsichtigen, zurückzukehren. Zweitens, sie wissen irgendwoher, daß Minister Okubo jetzt gut bewacht wird, und haben ihren Plan fallengelassen. Oder beschlossen zu warten. Die Ungeduld des Herrn Ministers und seine Abneigung gegen Leibwächter sind allgemein bekannt.«
»Der Godaún wird natürlich überwacht?« »Strengstens und auf das sorgfältigste. Man hat mir aus Tokio die besten Spezialisten geschickt. Sobald die Satsumaer auftauchen,teilt man es mir unverzüglich mit, und sie werden verhaftet. Natürlich mit der Sanktion des Herrn Vizekonsuls.«
Den letzten Satz brachte er in derart respektvollem Ton vor, daß Fandorin die Zähne zusammenbiß – so stark klang das nach Hohn.
»Ich d-danke Ihnen. Ich denke, Sie haben bereits ohne mich alles entschieden.«
»Entschieden ja. Aber eine Verhaftung kann ich ohne Sie nicht vornehmen. Und ohne Sie natürlich, Herr Sergeant.« Erneut eine höhnisch höfliche Verbeugung.
»Allerdings.« Lockstone bleckte die Zähne. »Das fehlte noch, daß die einheimische Polizei an der Grenze zum Settlement das Sagen hat. Aber ich sage euch was, Jungs. Ihr Plan ist Scheiße. Wir müssen schnell zum Godaún, uns auf die Lauer legen und uns diese Verschwörer schnappen, wenn sie kommen. Solange sie unbewaffnet sind und nicht ihre Säbel in der Hand haben.«
»Bei allem Respekt für Ihren Standpunkt, Mister Lockstone, wir können diese Leute nicht ›schnappen, solange sie unbewaffnet sind und ihre Säbel nicht in der Hand haben.‹«
»Wieso denn nicht?«
»Weil Japan nicht Amerika ist. Bei uns braucht man Beweise für ein Verbrechen. Es gibt keinerlei Indizien gegen die Männer. Wir müssen sie mit ihren Waffen in der Hand verhaften.«
»Asagawa-san hat recht«, mußte Fandorin zugeben.
»Rusty, Sie sind neu hier, Sie haben keine Ahnung! Wenn die drei erfahrene Hitokiri sind, also Kopfjäger, dann machen Sie aus einem Haufen Leute Hackfleisch!«
»Oder, was noch wahrscheinlicher ist, sie schlitzten sich den Bauch auf, und dann stecken die Ermittlungen in einer Sackgasse«, sagte der Doktor. »Das sind schließlich Samurai! Nein, Inspektor, Ihr Plan ist entschieden schlecht!«
Asagawa ließ sie noch eine Weile debattieren, dann sagte er: »Es wird weder das erste geschehen noch das zweite. Wenn es Ihnenrecht wäre, meine Herren, sich mit mir auf mein Revier zu begeben, zeige ich Ihnen gern, wie wir die Operation durchführen wollen. Außerdem sind es vom Revier bis zum Fukushima-Viertel nur fünf Minuten Fußweg.«
Das Keisatsu-sho, das japanische Polizeirevier, hatte kaum Ähnlichkeit mit dem Kontor von Sergeant Lockstone. Das munizipale Bollwerk der Rechtsordnung war äußerst eindrucksvoll: eine massive Tür mit Messingschild, Ziegelwände, ein Eisendach, Eisengitter vor den Fenstern der Gefängniszelle – ein Bollwerk eben. Asagawas Büro befand sich in einem niedrigen Holzhaus mit Ziegeldach und sah aus wie eine große Scheune oder eine Korndarre. Zwar stand vor dem Eingang ein Posten in akkuratem Uniformrock und blankgeputzten Stiefeln, doch dieser japanische Schutzmann war von zwergenhaftem Wuchs und trug zudem eine Brille. Lockstone warf nur einen Blick auf ihn und ächzte.
Drinnen war es erst recht sonderbar.
Die Munizipalpolizisten liefen gewichtig durch die Flure, beinahe schläfrig, hier dagegen huschten alle herum wie Mäuse; im Laufen verbeugten sie sich rasch, um ihren Vorgesetzten zu grüßen. Ununterbrochen gingen Türen auf und zu. Fandorin schaute in einen Raum hinein – darin stand eine Reihe Tische, an jedem saß ein kleiner Beamter, und alle beschrieben behende Papier mit einem Pinsel.
»Die Registratur«, erklärte Asagawa. »Das gilt bei uns als wichtigster Teil der Polizeiarbeit. Wenn die Behörden wissen, wo jemand lebt und was er macht, gibt es weniger Verbrechen.«
Von der gegenüberliegenden Seite drang lautes Klopfen, als schlüge eine ganze Meute von Lausejungen eifrig mit Knüppeln gegen Bretter. Fandorin trat näher und schaute, da er groß genug war, durch das Fenster über der
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