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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Sicherheit des Japaners nicht mehr viel übrig. Er wurde immer blasser, seine Mundwinkel bebten nervös – mit Mühe wahrte er einen Rest an Selbstbeherrschung.
    Nach Asagawas gestrigem Spott verspürte Fandorin nicht das geringste Mitgefühl mit dem Inspektor.
    »Sie hätten nicht in solchem Maße auf die eigenen Kräfte vertrauen sollen«, bemerkte er rachsüchtig. »Die Satsumaer haben Ihre Beschattung bemerkt. Ihre Schwerter mögen den Samurai wichtig sein, aber die eigene Haut ist ihnen doch wichtiger. Ich gehe jetzt schlafen.«
    Asagawas Gesicht zuckte gequält.
    »Ich bleibe hier und warte«, zischte er zwischen den Zähnen hervor, ohne jedes »mit Ihrer Erlaubnis« oder »wenn der Herr Vizekonsul zu gestatten beliebt«.
    »Na dann.«
    Fandorin verabschiedete sich von Lockstone und Doktor Twiggs und ging nach Hause.
    Die menschenleere Uferstraße war in einen durchsichtigen, zarten Dunst gehüllt, doch Fandorin schaute nicht auf die schönen Fassaden und nicht auf die feucht glänzende Straße – sein Blick war gefesselt von dem Wunder »Sonnenaufgang über dem Meer«. Der junge Mann lief die Straße entlang und dachte, wenn jeder Mensch seinen Tag damit begänne, zu beobachten, wie die Gotteswelt sich mit Leben, Licht und Schönheit erfüllt, würden Schmutz und Bosheit aus der Welt verschwinden – in einer vom Sonnenaufgang durchfluteten Seele war dafür kein Platz.
    Doch Fandorin war so beschaffen, daß er sich schönen Träumen nur überlassen konnte, wenn er allein war, und auch dann nur für kurze Zeit – der erbarmungslose Verstand rückte sogleich alles wiederzurecht. Gut möglich, daß die Betrachtung des Sonnenaufgangs über dem Meer die Kriminalität in der ersten Tageshälfte senken würde, doch nur, um sie dann in der zweiten um so mehr ansteigen zu lassen, sagte sich der Vizekonsul. Der Mensch schämt sich gewöhnlich für Augenblicke von Rührung und Ergriffenheit. Man könnte natürlich zum Ausgleich die gesamte Bevölkerung zwingen, auch den Sonnenuntergang zu bewundern, das war ebenfalls ein wunderschönes Schauspiel. Aber man mochte sich gar nicht vorstellen, was dann an trüben Tagen geschehen würde …
    Fandorin wandte sich seufzend von dem gottgeschaffenen Bild ab und der von Menschen geschaffenen Landschaft zu. Letztere war in dieser reinen, in Tau gebadeten Stunde auch nicht übel, wenngleich weit weniger vollkommen: Unter einer Laterne lag, die Wange auf die Hand gebettet, ein ermatteter Matrose und schlief, an der Ecke gegenüber schwang ein übereifriger Hausknecht wild den Besen.
    Plötzlich ließ er sein Arbeitsgerät fallen, drehte sich um, und im selben Augenblick vernahm Fandorin ein rasch näher kommendes Hufetrappeln und Frauenschreie. Ein leichter Einspänner kam um die Ecke auf die Uferstraße gerast. Auf einem Rad um die Kurve biegend, wäre er beinahe umgekippt, fing sich aber wieder – das Pferd bog kurz vor dem Geländer ab, verlangsamte das Tempo aber höchstens für eine Sekunde. Durchdringend wiehernd schüttelte es den Kopf, daß der Schaum nur so flog, und rannte im Wahnsinnsgalopp am Ufer entlang, direkt auf Fandorin zu.
    Im Wagen saß eine Frau, umklammerte mit beiden Händen den Sitz und schrie gellend; ihr schwarzes Haar wehte im Wind – ihr Hut war vermutlich längst weggeflogen. Die Lage war klar: Das Pferd hatte gescheut, war durchgegangen, und die Frau hatte die Zügel nicht halten können.
    Ohne die Situation weiter zu analysieren und mögliche Folgen zu erwägen, sprang Fandorin einfach vom Trottoir und lief in dieselbeRichtung wie die Kutsche – so schnell das möglich war, wenn man dabei den Kopf ständig nach hinten wandte.
    Das Pferd war von einer schönen weißen Rasse, aber gedrungen, mit kurzem Widerrist. Solche Pferde hatte Fandorin hier in Yokohama bereits gesehen und von Doronin erfahren, daß es sich dabei um eine einheimische Rasse handelte, launisch und wenig geeignet als Wagenpferd.
    Fandorin hatte noch nie ein durchgegangenes Pferd stoppen müssen, aber während des kürzlichen Krieges hatte er einmal einen Kosaken dabei beobachtet und aus seiner gewohnten Wißbegier diesen anschließend gefragt, wie man das machte. »Pack es vor allem nicht am Zaum, Herr«, hatte der Kosak ihn eingeweiht, »das kann es nicht leiden, wenn es durchgegangen ist. Du mußt ihm auf den Hals springen und ihm den Kopf nach unten drücken. Und du darfst es nicht beschimpfen und fluchen, du mußt zärtlich mit ihm reden: ›mein Mädchen, meine Schöne, meine

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