Diamantene Kutsche
Geste nicht mehr zu legen als die übliche Höflichkeit. O-Yumi erwiderte die Verbeugung nicht, maß ihn aber mit einem langen, sonderbaren Blick, dessen Bedeutung Fandorin anschließend lange zu entschlüsseln suchte. Forschend, ein wenig besorgt? Ja, so schien es: Als versuche sie, in seinem Gesicht etwas Verborgenes zu entdecken und hoffe und fürchte sich zugleich vor dieser Entdeckung.
Mit einiger Mühe gelang es ihm, sich diesen Unfug aus dem Kopf zu schlagen und seine Gedanken wieder Wesentlichem zuzuwenden.
Das nächste Mal trafen sie sich einen Tag später, am Nachmittag.Kapitänleutnant Bucharzew war aus Tokio gekommen, um sich nach dem Stand der Ermittlungen zu erkundigen. Anders als bei ihrer ersten Begegnung zeigte sich der Marineattaché diesmal als sanfter Engel. Er behandelte Fandorin mit Respekt, sprach wenig und hörte aufmerksam zu.
Sie erfuhren von ihm nichts Neues – lediglich, daß Minister Okubo Tag und Nacht bewacht wurde, seine Residenz kaum verließ und deshalb furchtbar wütend war. Womöglich würde er die versprochene Woche nicht durchhalten.
Fandorin legte seinem Landsmann kurz den Stand der Dinge dar. Die Satsumaer waren spurlos verschwunden. Die Überwachung des Buckligen war verstärkt worden, denn nun war sicher: Er steckte mit den Verschwörern unter einer Decke. Doch bisher hatte die Beschattung keinerlei Resultate gebracht. Der Wirt des »Rakuen« verbrachte die ganze Zeit in seiner Schenke, ging gegen Morgen zum Schlafen nach Hause und anschließend wieder in die Spelunke. Nichts, woran man anknüpfen konnte.
Fandorin zeigte Bucharzew auch die vorhandenen Indizien, die eigens zu diesem Zweck auf dem Schreibtisch des Sergeants ausgebreitet lagen: die drei Schwerter, den Zelluloidkragen, den Spiegel.
Die letzten beiden Gegenstände besah der Kapitänleutnant durch eine Lupe, dann betrachtete er seine eigene Fingerkuppe lange durch die Lupe, zuckte die Achseln und sprach: »Blödsinn.«
Als Fandorin den Marineattaché zur Kutsche begleitete, redete dieser hochtrabend von der Wichtigkeit des Fandorin anvertrauten Falls.
»Er wird unseren Einfluß entweder in ungeahnte Höhen steigen lassen – falls Sie die Mörder fassen – oder aber unseren Ruf schädigen und uns den Groll des allmächtigen Ministers einbringen, der uns nicht verzeihen wird, daß wir ihn in einen Käfig gesperrt haben«, schwafelte Bucharzew mit gesenkter Stimme.
Fandorin hörte ihm leicht angewidert zu – erstens, weil ihm dasalles auch so bewußt war, und zweitens, weil ihn die plumpe Vertraulichkeit ärgerte, mit der der Botschaftslaffe ihm die Hand auf die Schulter legte.
Plötzlich unterbrach sich Bucharzew und stieß einen Pfiff aus.
»Was für ein Äffchen!«
Fandorin drehte sich um.
Im ersten Moment erkannte er sie nicht, denn diesmal trug sie eine raffinierte hohe Frisur und einen weißen Kimono mit blauen Iris sowie einen hellblauen Schirm. Derartiges hatte Fandorin bislang nur auf farbigen Ukiyo-e-Blättern gesehen. Nachdem er einige Tage in Japan verbracht hatte, war er zu dem Schluß gekommen, daß die reizenden Ukiyo-e-Figuren ebenso erfunden waren wie die übrigen Phantasiebilder des europäischen »Japanismus«. Doch O-Yumi stand den Bildern des alten japanischen Meisters Outamaro, dessen Arbeiten in Pariser Salons inzwischen für viel Geld gehandelt wurden, in nichts nach.
Sie schwebte vorüber und warf Fandorin und seinem Gesprächspartner einen kurzen Blick zu. Fandorin verbeugte sich, Bucharzew legte galant die Hand an den Mützenschirm.
»Und der Hals, dieser Hals!« stöhnte der Marineattaché. »Ich liebe diese Kragen. Sie sind auf ihre Art pikanter als unsere Dekolletés.«
Der hohe Kimonokragen war hinten leicht umgeschlagen. Fandorin konnte den Blick nicht wenden von den zarten Löckchen im Nacken, der schutzlosen Halskerbe und vor allem von den rührenden, kindlich abstehenden Ohren. Vermutlich ist sie noch ein halbes Kind an Jahren, dachte er plötzlich. Ihr Spott war nur eine Maske, ein Schutz vor der groben, harten Welt, in der sie leben mußte. Wie die Stacheln eines Rosenstrauchs.
Zerstreut verabschiedete er sich von Bucharzew, wobei er kaum den Kopf wandte – er schaute noch immer der schlanken Gestalt nach, die geschmeidig den Platz überquerte.
Plötzlich blieb O-Yumi stehen, als hätte sie seinen Blick gespürt.
Sie drehte sich um und kam zurück.
Als Fandorin begriff, daß sie nicht einfach so umkehrte, sondern auf ihn zusteuerte, lief er ihr einige
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