Diamantene Kutsche
spät schlafen.« Die erstaunliche Frau lachte.Ihr Lachen war im Gegensatz zu ihrer Stimme nicht heiser, sondern hell und klar.
Nun wollte Fandorin sie noch einmal lachen hören. Aber ihm fiel nichts ein, womit er sie dazu bringen könnte. Vielleicht mit einer scherzhaften Bemerkung über das Pferd?
Er tätschelte zerstreut die Kruppe der Stute. Sie schaute ihn aus einem entzündeten Auge erschrocken an und wieherte klagend.
»Wahnsinnig schade um meinen Hut.« O-Yumi seufzte und ordnete weiter ihre Frisur. »Er war wunderschön! Er ist mir weggeflogen, den finde ich nie wieder. Das ist der Preis für meinen Patriotismus. Mein Freund hat mich gewarnt, daß ein japanisches Pferd sich nicht als Kutschpferd eignet, aber ich wollte ihm das Gegenteil beweisen.«
Sie redet von Bullcocks, erriet Fandorin.
»Jetzt wird sie nicht mehr durchgehen. Sie muß nur ein wenig an der Leine geführt werden. W-wenn Sie erlauben …«
Er nahm die Zügel in die Hand und führte die Stute die Uferstraße entlang. Er hätte sich gern umgedreht, beherrschte sich aber. Schließlich war er kein junger Bengel, der schöne Frauen mit offenem Mund anstarrte.
Das Schweigen zog sich hin. Gut, Fandorin zeigte Charakter, aber warum schwieg sie? In Gegenwart ihres Retters, der sie soeben aus Todesgefahr errettet hatte?
Es verging eine Minute, eine zweite, eine dritte. Diese Stille war keine simple Gesprächspause mehr, sie erhielt nun einen besonderen Sinn. Jeder weiß, zumindest aus der schönen Literatur: Wenn eine Frau und ein Mann, die sich kaum kennen, lange miteinander schweigen, bringt sie das einander näher als jedes Gespräch.
Fandorin, der es nicht mehr aushielt, zog die Zügel ganz leicht zu sich heran, und als die Stute den Kopf in seine Richtung wandte, drehte er sich nach ihr um – und warf zugleich einen Blick auf die Japanerin.
Sie dachte gar nicht daran, auf seinen Rücken zu starren! Sie hatte sich abgewandt, einen Spiegel aufgeklappt und beschäftigte sich mit ihrem Gesicht – sie hatte sich bereits gekämmt, das Haar festgesteckt und die Nase gepudert. Von wegen vielsagendes Schweigen!
Verärgert über seine eigene Dummheit, reichte Fandorin der Japanerin die Zügel und sagte fest: »Das war’s, meine Dame. Jetzt hat sich das Pferd vollkommen beruhigt. Sie können weiterfahren, aber langsam, und lassen Sie die Zügel nicht los.«
Er lüpfte seinen Hut, der wie durch ein Wunder auf seinem Kopf geblieben war, und wollte sich entfernen, schwankte jedoch, ob es höflich war, einfach zu gehen, ohne sich vorgestellt zu haben. Andererseits war es nicht eben ehrenhaft, sich einer lasterhaften Frau vorzustellen, als wäre sie eine Dame von Welt. Doch die Höflichkeit siegte.
»V-verzeihen Sie, ich vergaß mich vorzustellen. Ich …«
Sie unterbrach ihn mit einer Handbewegung.
»Nicht nötig. Ein Name sagt mir wenig. Das Wesentliche aber sehe ich auch ohne Namen.«
Sie maß ihn mit einem langen, forschenden Blick und bewegte dabei lautlos die weichen Lippen.
»Und was sehen Sie?« fragte Fandorin unwillkürlich.
»Vorerst nicht viel. Die Fortune und die Dinge lieben Sie, das Schicksal hingegen nicht. Sie sind seit zweiundzwanzig Jahren auf der Welt, sind in Wirklichkeit aber älter. Kein Wunder: Sie waren schon oft nur eine Haaresbreite vom Tod entfernt, und Sie haben Ihr halbes Herz verloren, und davon altert man schnell. Nun denn. Noch einmal danke, Sir. Und leben Sie wohl.«
Als sie das halbe Herz erwähnte, zuckte Fandorin zusammen. Die Dame aber knallte mit den Zügeln, rief gellend: »Yoshi, ikoo!« und ließ die Stute traben – ziemlich scharf, trotz Fandorins Warnung.
Das Pferd Naomi lief brav und zuckte dabei mit den kleinen weißen Ohren. Die Hufe klapperten mit fröhlichem silbrigem Klang die Straße entlang.
Am Ende des Wegs
Weißt du: Durch Nebel jagte
Die weiße Stute.
Das letzte Lächeln
An diesem Tag sah er sie noch einmal. Kein Wunder – Yokohama war eine kleine Stadt.
Fandorin lief am Abend auf dem Rückweg von einer Beratung mit dem Sergeant und dem Inspektor die Main-Street entlang, als in einem offenen Brougham der rothaarige Bullcocks und seine Konkubine an ihm vorbeifuhren. Der Engländer trug etwas Dunkelrotes (Fandorin sah ihn nur flüchtig an); seine Begleiterin ein enganliegendes schwarzes Kleid, einen Hut mit Straußenfeder und einen federleichten Schleier, der ihr Gesicht nicht verbarg, sondern ihre Züge sanft umhüllte.
Fandorin verbeugte sich leicht, bemüht, in diese
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