Diamantene Kutsche
kleine Braut.‹ Dann kommt es zur Vernunft. Wenn’s ein Hengst ist, sagst du ›Bruder‹ oder ›Landsmann‹.«
Als das durchgegangene Pferd mit Fandorin auf einer Höhe war, folgte dieser exakt den Anweisungen des Kosaken. Er sprang auf, doch als er auf dem schweißnassen, glitschigen Hals hing, fiel ihm ein, daß er nicht wußte, ob es ein Hengst oder eine Stute war – er hatte keine Zeit gehabt, das festzustellen. Darum benutzte er für alle Fälle »mein Mädchen« ebenso wie »Landsmann«, »Bruder« und »meine Schöne«.
Erst half das nicht. Entweder verstand das Pferd nur Japanisch, oder ihm mißfiel die Last auf dem Hals, jedenfalls schnaubte die Vertreterin (oder der Vertreter) der launischen Rasse ganz furchtbar, schüttelte den Kopf und schnappte mit den Zähnen nach Fandorins Schulter. Erst als das Pferd diese nicht zu fassen kriegte, verlangsamte es seinen Lauf.
Nach etwa zweihundert Schritten endete das Rennen schließlich.Das Pferd stand still, noch immer zitternd, Schaumflocken rannen ihm über Rücken und Kruppe. Fandorin löste die Umklammerung. Als er schwankend wieder auf seinen Beinen stand, klärte er als erstes die Frage, die ihn die ganze, ihm endlos erschienene Zeit beschäftigt hatte, während der er die Rolle der Deichsel gespielt hatte.
»Aha, also doch ein Mädchen«, murmelte er und warf erst dann einen Blick auf die gerettete Dame.
Es war die Geliebte des ehrenwerten Aldgernon Bullcocks, die Quelle des denkwürdigen phantastischen Strahlens, Frau O-Yumi. Ihre Frisur war aufgelöst, eine lange Strähne hing ihr in die Stirn, ihr Kleid war zerrissen, die weiße Schulter mit einer roten Schramme darauf lag bloß. Doch auch in diesem Aufzug war die Besitzerin des unvergeßlichen silbernen Schuhs so wunderschön, daß Fandorin erstarrte und verwirrt mit seinen langen Wimpern klapperte. Das ist kein Strahlen, ging es ihm durch den Kopf. Das ist blendende Schönheit. Darum heißt sie so, weil man davon wie blind wird …
Dann dachte er noch, daß Zerzaustheit ihm wohl kaum so gut zu Gesicht stand wie ihr. Ein Ärmel seines Gehrocks war vollständig abgerissen und baumelte am Ellbogen, den zweiten hatte die Stute angebissen, Pantalons und Stiefeletten waren schwarz vor Schmutz, und am schlimmsten war natürlich der stechende Geruch nach Pferdeschweiß, mit dem Fandorin von Kopf bis Fuß getränkt war.
»Sind Sie unversehrt, meine Dame?« fragte er auf Englisch und trat einen Schritt zurück, um ihre Nase nicht zu peinigen. »Sie haben Blut auf der Schulter …«
Sie warf einen Blick auf die Schramme und schob ihr Kleid noch ein Stück herunter, so daß das Schlüsselbein entblößt war, und Fandorin verschluckte den Rest des Satzes.
»Ach, das war ich selbst. Ein Kratzer mit dem Peitschengriff«,antwortete die Japanerin und wischte den korallenroten Tropfen unbekümmert mit dem Finger weg.
Die Stimme der Kurtisane war überraschend tief, ein wenig heiser – nach europäischen Begriffen häßlich, aber in ihrem Klang lag etwas, das Fandorin für einen Moment die Augen senken ließ.
Dann nahm er sich zusammen, sah ihr erneut ins Gesicht und bemerkte, daß sie lächelte – seine Verlegenheit schien sie zu amüsieren.
»Ich sehe, Sie sind nicht sehr erschrocken«, sagte Fandorin langsam.
»Doch, sehr. Aber ich hatte Zeit, mich zu beruhigen. Sie haben meine Naomi so feurig umarmt.« In ihren länglichen Augen blitzten listige Fünkchen. »Ach, Sie sind ein echter Held! Und wenn ich meinerseits eine echte Japanerin wäre, müßte ich die Schuld meiner Dankbarkeit bis ans Ende meiner Tage begleichen. Aber ich habe von euch Ausländern viele nützliche Dinge gelernt. Zum Beispiel, daß man einfach sagen kann ›danke, Sir‹, und die Sache ist beglichen. Danke, Sir. Ich bin Ihnen sehr verbunden.«
Sie erhob sich ein wenig von ihrem Sitz und machte einen graziösen Knicks.
»Keine Ursache.« Fandorin verbeugte sich, bemerkte dabei den herunterbaumelnden Ärmel und riß ihn rasch ab. Er wollte ihre Stimme noch länger hören, darum fragte er: »Sie fahren zu so früher Stunde spazieren? Es ist doch noch nicht einmal f-fünf.«
»Ich fahre jeden Morgen auf die Landzunge und schaue zu, wie über dem Meer die Sonne aufgeht. Das schönste Schauspiel der Welt«, antwortete O-Yumi und schob eine Locke hinter ihr kleines, abstehendes Ohr, das rosa leuchtete.
Fandorin sah sie erstaunt an – sie schien seine Gedanken gelesen zu haben.
»Sie stehen so früh auf?«
»Nein, ich gehe so
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