Diamantene Kutsche
sofort an die Kaserne des zwölften Infanteriebataillons telegrafiert, das ist eine Meile von hier stationiert. Eine ausgezeichnete Erfindung, der Telegraf! Und ich selbst bin zur Eisenbahn geeilt. Auch eine sehr gute Erfindung!«
Der Vize-Intendant strahlte Entschlossenheit und Kampfgeist aus. Er gab auf Japanisch ein Kommando, und in der Kolonne wurde weitergegeben: »Chutaitcho, chutaitcho, chutaitcho!« 1 Drei Offiziere mit baumelnden Säbeln an der Hüfte kamen zur Spitze der Kolonne gerannt.
»Wir brauchen die Sodaten für die äußere Abriegelung«, erklärte Suga. »Keiner der Verbrecher darf entkommen. Sie hätten sich nicht so aufregen müssen, Fandorin, ich wollte mit den Soldaten gar nicht näher kommen. Die Kompaniechefs werden jetzt mit ihren Leuten eine Kette bilden und das Areal weiträumig umstellen. Vom Hügel aus wird davon nichts zu sehen sein.«
Die so unbeholfen wirkenden Soldaten bewegten sich erstaunlich koordiniert und geschickt. Sie sind zwar keine Adler, aber nicht übel gedrillt, korrigierte Fandorin seinen ersten Eindruck.
Binnen einer Minute war das Bataillon in drei langen Reihen angetreten. Eine blieb an Ort und Stelle, die beiden anderen marschierten nach rechts und links ab.
Erst jetzt entdeckte Fandorin am Ende der Infanteriekolonne ein Häuflein Polizisten – rund zwei Dutzend, darunter auch Asagawa, doch der Inspektor aus Yokohama hielt sich bescheiden im Hintergrund, kehrte nicht den Chef heraus. Die meisten der Polizisten waren ältere, mürrisch wirkende Männer, »alte Hasen«. Auch Shirota war hier – nach seiner grünen Gesichtsfarbe zu urteilen, konnte er sich kaum noch auf den Beinen halten. Kein Wunder: die ganze Nacht ohne Schlaf, die nervliche Anspannung und dann noch das Gerenne von hier nach Yokohama und zurück.
»Die besten Meister unserer Polizei«, sagte Suga stolz. »Bald werden Sie sie in Aktion erleben.«
Er drehte sich zu einem seiner Untergebenen um und sagte etwas auf Japanisch.
Shirota schüttelte sich, besann sich auf seine Pflichten, trat zu Fandorin und übersetzte halblaut.
»Der Adjutant meldet, daß sie schon mit dem Dorfältesten gesprochen haben. Die Bauern werden wie gewöhnlich weiterarbeiten und unsere Anwesenheit durch nichts verraten. Gleich wird eine Beratung durchgeführt. Dafür gibt es hier einen sehr komfortablen Ort.«
Der »sehr komfortable Ort« war der Gemeindepferdestall, der durchtränkt war vom Geruch nach Mist und Pferdeschweiß. Dafür hatte man dank der vielen Ritzen in der Wand einen ausgezeichneten Blick aufs Feld und auf den Hügel.
Der Vize-Intendant setzte sich auf einen Klapphocker, die übrigen Polizisten stellten sich im Halbkreis um ihn herum, und der Einsatzstab begann mit der Planung der Operation. Es sprach vor allem Suga. Selbstsicher, geschmeidig und lächelnd, fühlte er sich sichtlich in seinem Element.
»Seine Exzellenz widerspricht dem Herrn Kommissar und sagt, es sei unsinnig, die Nacht abzuwarten«, brabbelte Fandorins treuer Dolmetscher ihm ins Ohr. »Das Wetter soll klar werden, es ist fast Vollmond, da wirken die Felder wie ein Spiegel, jeder Schatten ist schon von weitem zu sehen. Bei Tag ist es besser. Da können wir uns als jätende Bauern getarnt dem Hügel nähern.«
Die Polizisten murmelten zustimmend. Suga nahm erneut das Wort.
»Seine Exzellenz sagt, es wird zwei Sturmgruppen geben, mit je zwei Männern. Mehr wäre verdächtig. Die übrigen Teilnehmer der Operation sollen sich in einiger Entfernung vom Hügel halten underst auf ein Zeichen hin geradewegs über das Feld laufen, ohne jede Tarnung. Dabei kommt es vor allem auf Schnelligkeit an.«
Nun redeten alle durcheinander, und zwar ziemlich hitzig, und Inspektor Asagawa, der bislang noch gar nicht den Mund aufgemacht hatte, trat vor, verbeugte sich wie aufgezogen und sagte immer wieder: »Kakka, tanomimas node! Kakka, tanomimas node!«
»Alle möchten in die Sturmgruppe«, teilte Shirota mit. »Herr Asagawa bittet um Erlaubnis, seine Schuld wiedergutmachen zu dürfen, er sagt, sonst würde es ihm sehr schwerfallen weiterzuleben.«
Der Vize-Intendant hob die Hand, und augenblicklich trat Ruhe ein.
»Ich möchte den Herrn russischen Vizekonsul um seine Meinung fragen«, wandte sich Suga auf Englisch an Fandorin. »Was sagen Sie zu meinem Plan? Es ist schließlich unsere gemeinsame Operation. Eine Operation zweier ›Vize‹.«
Er lächelte. Nun schauten alle zu Fandorin.
»Ich bin, ehrlich gesagt, erstaunt«, sagte Fandorin
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