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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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überläßt.
    »Wieso Jiu-Jitsu?« fragte Fandorin verwundert, in der Annahme, Tsurumaki spreche von der japanischen Kampfkunst, in der Masa ihn unterwies.
    »Nicht Jiu-Jitsu, sondern Jojutsu! Die Kunst der Liebesleidenschaft. Hochqualifizierte Kurtisanen beherrschen sie perfekt.« Der Bonviant bekam einen verträumten Blick. »Ich bin auch einmal einer Meisterin des Jojutsu ins Netz gegangen. Nicht lange, nur für anderthalb Monate. Ihre Liebe hat mich dreißigtausend Yen gekostet – alles, was ich zu der Zeit besaß. Anschließend mußte ich mein Geschäft neu aufbauen, aber ich bedaure nichts – es ist eine der schönsten Erinnerungen meines Lebens!«
    »Sie irren, Verehrtester.« Fandorin lächelte herablassend. »Ihr Jojutsu hat damit nichts zu tun. Ich habe die Liebe nicht gekauft.«
    »Man zahlt nicht immer mit Geld.« Tsurumaki kratzte sich den Bart und hob erstaunt die dichten Brauen. »O-Yumi und auf Jojutsu verzichten? Das wäre sonderbar. Lassen Sie uns das nachprüfen.Ich kenne natürlich nicht alle Feinheiten dieser ausgeklügelten Kunst, aber an einiges erinnere ich mich, weil ich es am eigenen Leib erfahren habe. Die erste Phase heißt ›Soyokaze‹. Wie übersetzt man das am besten? Etwa ›Leichter Windhauch‹. Dabei geht es darum, die Aufmerksamkeit des erwählten Objekts auf sich zu lenken. Dazu gibt die Meisterin dem Mann die Gelegenheit, sich ihr im besten Licht zu zeigen. Es ist schließlich eine Binsenweisheit, daß man denjenigen am meisten liebt, der einen, wie man glaubt, bewundern muß. Ist ein Mann besonders stolz auf seinen Scharfsinn, richtet es die Kurtisane so ein, daß er im vollen Glanz seines Geistes vor ihr steht. Ist er mutig, gibt sie ihm Gelegenheit, sich als echter Held zu beweisen. Dafür engagiert sie zum Beispiel angebliche Räuber, gegen die das Objekt die schöne Unbekannte dann verteidigt. Oder er sieht die Schöne plötzlich aus einem gekenterten Boot fallen. Die verwegensten Kurtisanen riskieren sogar Verletzungen und treffen eine Absprache mit einem Rikschakuli oder einem Kutscher. Stellen Sie sich eine Kutsche vor, der die Pferde durchgegangen sind, und eine kläglich schreiende schöne Frau darin. Wer würde da nicht zu Hilfe eilen? Bei der ersten Stufe des Jojutsu kommt es darauf an, daß das Objekt sich erstens als Retter fühlt und zweitens für die Jägerin nicht Mitleid empfindet, sondern Begehren. Dazu entblößt sie wie zufällig einen besonders verführerischen Teil ihres Körpers: eine Schulter, ein Bein, eine Brust, je nachdem.«
    Anfangs hatte Fandorin mit spöttischem Lächeln zugehört. Doch bei der Erwähnung der Kutsche und der durchgegangenen Pferde zuckte er zusammen. Und sagte sich sogleich: Nein, nein, das kann nicht sein, das ist Zufall. »Und das zerrissene Kleid, und die Alabasterschulter mit der roten Schramme?« flüsterte eine diabolische Stimme.
    Unsinn! Der Vizekonsul schüttelte energisch den Kopf. Lächerlich, wirklich.
    »Und worin besteht die zweite Phase?« fragte er ironisch.
    Tsurumaki biß herzhaft in einen großen roten Apfel. Mit vollem Mund fuhr er fort: »Die heißt ›Zwei auf einer Insel‹. Eine sehr subtile Angelegenheit. Dabei gilt es bei Wahrung der Distanz zu zeigen, daß zwischen dem Objekt und der Kurtisane eine besondere Verbindung existiert – eine Verknüpfung durch unsichtbare Schicksalsfäden. Dafür ist jedes Mittel recht: Die Meisterin engagiert Spione und sammelt Informationen über ihr Objekt, außerdem beherrschen viele dieser Damen die Kunst des Ninso – das ist so etwas Ähnliches wie eure Physiognomistik, nur viel, viel raffinierter.«
    Dem Vizekonsul wurde kalt, und der fröhliche Aufklärer schmatzte seinen Apfel und jagte immer neue Nadeln in das arme Herz.
    »Die dritte Phase heißt, glaube ich, ›Pfirsichduft‹. Das Objekt muß den Duft der Frucht kosten, doch die Frucht selbst hängt noch hoch oben am Baum, und es ist ungewiß, wer sie bekommen wird. Das Objekt soll sehen, daß die Person, die ihn so fesselt, kein fleischloser Engel ist, sondern eine lebendige, leidenschaftliche Frau, aber daß er um sie kämpfen muß. An dieser Stelle kommt unweigerlich ein Rivale ins Spiel, und zwar ein ernsthafter Rivale.«
    Wie sie mit Bullcocks am Konsulat vorbeifuhr, den Kopf auf dessen Schulter, erinnerte sich Fandorin. Und dabei schaute sie nicht einmal in meine Richtung, obwohl ich direkt am Fenster saß.
    O nein, nein, nein!
    Tsurumaki blickte mit zusammengekniffenen Augen zum Mond.
    »Wie ging’s

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