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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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skandalöses Verhalten.
    »Herzlich willkommen, junger Assistent meines Freundes Doronin!« tönte von oben die kräftige Stimme des Hausherrn. »Die Tür ist offen. Treten Sie ein und kommen Sie zu mir herauf!«
    »D-danke«, erwiderte Fandorin resigniert.
    Er durchquerte den halbdunklen Saal, in dem beim Junggesellenball das Orchester gespielt und der vielbeinige Cancan getobt hatte, und lief die Treppe hinauf, als besteige er das Schafott.
    Was tun? Reue zeigen? Lügen? Aber ob er log oder nicht … Der russische Vizekonsul floh aus dem Garten eines britischen Agenten. Die Situation war eindeutig: Einer spionierte dem anderen nach.
    Doch damit unterschätzte Fandorin die Mißlichkeit seiner Lage noch.
    Als er auf die Terrasse hinaustrat, erblickte er einen üppig gedeckten Tisch mit Schinken, Wurst, Obst, Kuchen, Konfekt und einer ganzen Batterie süßer Liköre; in Silberleuchtern stecktenKerzen, die jedoch nicht brannten – vermutlich wegen des hellen Mondlichts. Doch nicht der Tisch entsetzte ihn – vor der Brüstung stand auf einem Eisengestell ein gewaltiges Teleskop, und seine Linse war keineswegs auf die Sterne gerichtet, sondern auf das Haus von Bullcocks!
    Hatte er etwas gesehen oder nicht? Dieser Gedanke ließ Fandorin erstarren. Nein, anders: Was genau hatte Tsurumaki gesehen – nur die Flucht durch den Garten oder …
    »Warum bleiben Sie stehen?« Tsurumaki kam ihm entgegen, eine schwarze Bruyérepfeife paffend. »Wollen Sie sich nicht bedienen? Ich esse leidenschaftlich gern allein und nachts. Ohne Gabel und Stäbchen, einfach mit den Fingern.« Er streckte seine fettglänzenden, mit Schokolade beschmierten Hände aus. »Das ist säuisch, ich weiß, aber bei Gott, das ist meine liebste Tageszeit. Ich labe meine Seele am Anblick der Sterne und meinen Leib an köstlichen Leckereien. Nehmen Sie eine Wachtel, sie ist heute morgen noch über die Wiese geflattert. Und die Austern sind auch ganz frisch. Mögen Sie?«
    Der Dickwanst pries die Speisen so appetitanregend, daß Fandorin sowohl auf die Wachtel als auch auf die Austern Lust bekam. Er spürte erst jetzt, wie hungrig er war. Aber zunächst mußte er einiges klären.
    Da der Hausherr keine Eile hatte, ihn auszufragen, ergriff Fandorin selbst die Initiative.
    »Sagen Sie, wozu brauchen Sie eine Pforte zum Nachbargarten?« fragte er, fieberhaft überlegend, wie er das Wichtigste ansprechen könnte.
    »Aldgernon und ich sind befreundet, als gute Nachbarn besuchen wir einander oft. Durch den Garten ist es bequemer als über die Straße.«
    Und dein Kostgänger kann seine Dienste so bequemer verkaufen, dachte der Vizekonsul, verpetzte Fürst Onokoji aber selbstverständlich nicht. Fandorin erinnerte sich, daß Bullcocks undseine Begleiterin im Gegensatz zu den übrigen Gästen zum Junggesellenball zu Fuß gekommen waren, und zwar von der Seite, nicht vom Haupttor her. Vermutlich durch die bewußte Pforte.
    »Aber …. Aber wie haben Sie sie geöffnet?« fragte Fandorin, das Wichtigste noch immer meidend.
    Tsurumaki wurde gesprächig.
    »Oh, hier bei mir ist alles e-lektri-fi-ziert, alles. Ich bin ein begeisterter Anhänger dieser großartigen Erfindung! Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.«
    Er nahm den Vizekonsul am Arm und führte ihn beinahe gewaltsam zu einem Pult neben dem Teleskop. Fandorin sah ein ganzes Bündel von Kabeln, die auf den Boden herabhingen und dort in einem Rohr verschwanden. Auf dem Pult selbst blitzten mehrere Reihen von Schaltern. Tsurumaki betätigte einen davon, und alle Fenster im Palast erstrahlten in gelbweißem Licht. Er knipste wieder – und das Haus lag im Dunkeln.
    »Und hier ist Ihre Pforte. Sehen Sie durchs Teleskop.«
    Fandorin preßte ein Auge an das Fernrohr und erblickte dicht vor sich, eine Armlänge entfernt, die Gitterstäbe und dahinter die Silhouetten dreier Hunde. Wieder funkelten ihn phosphorgrüne Augen an. Was für geduldige Geschöpfe!
    »Eins, zwei!« rief Tsurumaki, und die Pforte sprang auf, als wäre sie lebendig. Einer der Hunde tat einen Satz vorwärts.
    »Drei, vier!«
    Ebenso rasch schlug die Pforte wieder zu, und der Mastiff wurde in den Garten zurückgeschleudert. Geschah ihm ganz recht, dem Hundesohn!
    Fandorin tat, als korrigiere er die Schärfe, und hob das Fernrohr ein Stück an. Nun sah er die Hauswand, das Regenrohr, das Fenster – ebenfalls ganz nah.
    »Na, genug, genug!« Der Liebhaber der Elektrizität zupfte ihn ungeduldig am Ärmel. »Ich will Ihnen etwas zeigen, da werden Siestaunen.

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