Diamantene Kutsche
Rybnikow mit einer einfachen Droschke, doch als er das Geschäft verließ, nahm er eine Lackkutsche, bei der allein das Einsteigen schon fünfzig Kopeken kostete.
Vor Fuchtels Druckerei stieg er aus und entließ die Kutsche. Er mußte eine Bestellung abholen – hundert cartes de visite eines Korrespondenten der Nachrichtenagentur Reuter, der zwar Rybnikows Vor- und Vatersnamen trug – Wassili Alexandrowitsch –, aber einen völlig anderen Familiennamen: Stan.
Vor der Druckerei stieg der frischgebackene Mister Stan (nein, um nicht durcheinanderzukommen, werden wir bei Rybnikow bleiben) gar in eine Fünf-Rubel-Kutsche. Er befahl dem Kutscher, ihn zum Pensionat »Saint-Saëns« zu bringen, zuvor aber irgendwo anzuhalten, um einen Strauß weißer Lilien zu kaufen. Der fesche Kutscher nickte ehrerbietig. »Sehr wohl, mein Herr.«
Der Vorgarten der entzückenden Empire-Villa grenzte direkt an den Boulevard. Nach den bunten Lampions zu urteilen, die das Tor zierten, mußte das Pensionat abends besonders festlich aussehen. Nun aber waren Hof und Kutschenvorplatz leer und die weißen Gardinen vor den Fenstern zugezogen.
Rybnikow erkundigte sich, ob Gräfin Bovada zu Hause sei, und reichte dem Portier seine Karte. Keine Minute später kam aus demHaus, das sich als bedeutend geräumiger erwies, als es auf den ersten Blick scheinen mochte, eine üppige Dame – nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt, sehr gepflegt und so geschickt geschminkt, daß nur ein geübtes Auge die Spuren der kosmetischen Korrekturen bemerkte.
Bei Rybnikows Anblick schien das Gesicht der Gräfin für einen Augenblick zu gefrieren, gleich darauf aber erstrahlte es in einem liebenswürdigen Lächeln.
»Mein lieber Freund! Teuerster …« Sie blickte auf die Karte. »Teuerster Wassili Alexandrowitsch! Ich freue mich wahnsinnig, Sie zu sehen! Und Sie haben nicht vergessen, wie sehr ich weiße Lilien mag! Wie nett!«
»Ich vergesse niemals etwas, Madame Beatrice.« Rybnikow beugte sich über ihre mit funkelnden Ringen geschmückte Hand.
Bei diesen Worten griff sich die Hausherrin unwillkürlich in ihr wundervolles aschgraues Haar, das zu einer hohen Frisur aufgetürmt war, und schaute alarmiert auf den gebeugten Kopf ihres Besuchers. Doch als Rybnikow sich aufrichtete, lag auf den vollen Lippen der Gräfin wieder ein reizendes Lächeln.
Im Salon und in den Fluren herrschten Pastelltöne vor, an den Wänden hingen goldgerahmte Watteau- und Fragonard-Kopien. Um so eindrucksvoller war der Kontrast zu dem Kabinett, in das die Gräfin den Besucher führte: Keinerlei Verspieltheit und Manieriertheit – ein Schreibtisch mit Geschäftsbüchern, ein Stehpult, ein Regal für Papiere. Man sah, daß die Gräfin Geschäftsfrau war und keine Zeit zu vergeuden pflegte.
»Seien Sie unbesorgt«, sagte Rybnikow, setzte sich in einen Sessel und schlug die Beine übereinander. »Es ist alles in Ordnung. Man ist mit Ihnen zufrieden, Sie bringen hier ebensoviel Nutzen wie früher in Port Arthur und in Wladiwostok. Ich bin nicht geschäftlich hier. Ich bin erschöpft, wissen Sie. Ich habe beschlossen, einen kleinen Urlaub zu nehmen, ich brauche ein wenig Ruhe.« Erlächelte fröhlich. »Ich weiß aus Erfahrung: Im ärgsten Puff hat man am meisten Ruhe.«
Die Gräfin war beleidigt.
»Mein Haus ist kein Puff, es ist das beste Etablissement der Stadt! Innerhalb nur eines Jahres hat unser Pensionat sich einen ausgezeichneten Ruf erworben! Zu uns kommen hochehrenwerte Personen, die Ruhe und Anständigkeit schätzen!«
»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach Rybnikow sie, noch immer fröhlich lächelnd. »Darum bin ich ja vom Bahnhof aus gleich zu Ihnen gekommen, liebe Beatrice. Ruhe und Anständigkeit sind genau das, was ich brauche. Ich falle Ihnen doch nicht zur Last?«
Die Hausherrin antwortete sehr ernst:
»Sie sollten so etwas nicht sagen. Ich stehe ganz zu Ihren Diensten.« Nach kurzem Zögern fragte sie taktvoll: »Möchten Sie sich vielleicht mit einer unserer jungen Damen entspannen? Es sind ganz entzückende darunter. Ich verspreche Ihnen, Sie vergessen Ihre Erschöpfung sofort.«
»Nicht nötig«, dankte der fleißige Telegrammschreiber höflich. »Ich muß womöglich zwei, drei Wochen bleiben. Wenn ich mich mit einer Ihrer … Pensionistinnen näher einlasse, könnte das zu Streit und Eifersucht führen. Das muß nicht sein.«
Beatrice nickte. Der Einwand schien ihr vernünftig.
»Ich bringe Sie in einem Drei-Zimmer-Appartement mit separatem Eingang
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