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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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zur Bahnstation Bologoje.
    Bald nach Neujahr jedoch war etwas geschehen, das die langjährige Verbannung beendete, und wenn Fandorin bislang noch nicht in seine heimatlichen Gefilde gereist war, so nur, weil er außerordentlich viel zu tun hatte.
    Während Fandorin nun neben dem Lokführer stand und in das glühende Feuerloch starrte, dachte er an die bevorstehende Begegnung mit der Stadt seiner Jugend und an das Ereignis, das diese wieder möglich gemacht hatte.
    Das Ereignis hatte viel Staub aufgewirbelt – nicht nur im übertragenen Sinn. Der Moskauer Generalgouverneur, Fandorins erklärter Feind, war mitten im Kreml von einer Bombe der Sozialrevolutionäre in Stücke gerissen worden.
    Bei aller Abneigung gegen den Toten, einen unwürdigen Mann, der der Stadt nur geschadet hatte, war Fandorin erschüttert von dem Vorfall.
    Rußland war schwerkrank, es lag im Fieber, wurde mal von Hitze geschüttelt, mal von Kälte, blutiger Schweiß rann ihm aus den Poren, und das lag nicht nur am Japan-Krieg. Der Krieg hattelediglich zutage gefördert, was jedem denkenden Menschen ohnehin klar war: Das Imperium war zu einem Anachronismus geworden, zu einem verspäteten Dinosaurier mit riesigem Leib und winzigem Kopf. Das heißt, die Ausmaße des Kopfes waren gewaltig, aufgeblasen durch eine Vielzahl von Ministerien und Komitees, aber dieser Kopf barg ein winziges Hirn mit nur wenigen Windungen. Jede halbwegs wichtige Entscheidung, jede Regung des plumpen Körpers war unmöglich ohne den Willen eines einzigen Menschen, der leider auch nicht gerade ein Geistesfürst war. Doch selbst wenn er ein Geistestitan gewesen wäre – wie konnte im Zeitalter von Elektrizität, Rundfunk und Röntgen ein einzelner ein Riesenland regieren, und das auch noch zwischen Tennisspiel und Jagd?
    Deshalb war der arme russische Dinosaurier ins Wanken geraten, seine mächtigen Pranken verhedderten sich, sein tausend Werst langer Schwanz schleifte sinnlos über die Erde. Die Flanke wurde attackiert von der neuen Generation, einem flinken Raubtier, das ihm lebendiges Fleisch aus dem Leib riß, im Inneren des Kolosses wuchs ein todbringendes Geschwür. Wie der kranke Riese zu heilen sei, wußte Fandorin nicht, aber auf keinen Fall mit Bomben – durch die Erschütterungen geriet das kleine Hirn der Echse vollends in Raserei, der gigantische Leib würde sich immer heftiger in Krämpfen winden, und Rußland müßte sterben.
    Wie immer half die Weisheit des Fernen Ostens Fandorin, die düsteren, unfruchtbaren Gedanken zu vertreiben. Er angelte einen passenden Aphorismus aus seinem Gedächtnis: »Ein edler Mann weiß, daß die Welt unvollkommen ist, läßt aber nicht die Hände sinken.« Und noch ein weiterer fiel ihm ein, weniger theoretisch, eher praktisch: »Spürst du Unzufriedenheit in deiner Seele, bestimme den Faktor, der die Harmonie stört, und beseitige ihn.«
    Der Faktor, der die Harmonie von Fandorins Seele störte, mußtejeden Augenblick auf dem Nikolajewski-Bahnhof in Moskau eintreffen.
    Wenn nur Oberstleutnant Danilow es nicht vermasselte …
     
    Danilow vermasselte es nicht. Er empfing den Petersburger Gast persönlich, direkt an dem Abstellgleis, auf dem die Compound-Lok hielt. Das runde Gesicht des Oberstleutnants glänzte vor Aufregung. Gleich nach dem Händeschütteln erstattete er Meldung.
    Er habe nicht einen einzigen guten Agenten – sie seien alle vom Fliegenden Trupp abgeworben worden, wo es mehr Gehalt gab und außerdem Prämien und größere Freiheiten. Darum habe er, da ihm bewußt sei, daß der Herr Ingenieur ihn nicht mit Kleinigkeiten behelligen werde, auf sein Alter gepfiffen und zusammen mit seinem Stellvertreter, Stabsrittmeister Lissizki, einem fähigen Offizier, die Überwachung des Objektes selbst übernommen.
    Nun begriff Fandorin die Erregung des braven Danilow. Der Oberstleutnant hatte es satt, immer nur im Büro zu sitzen, er sehnte sich nach einer handfesten Aufgabe und hatte sich deshalb mit solchem Eifer in das Räuber-und-Gendarm-Spiel gestürzt. Ich muß veranlassen, daß er in den operativen Dienst versetzt wird, notierte Fandorin in Gedanken, während er der enthusiastischen Schilderung lauschte, wie Danilow und sein Assistent sich als Kaufleute verkleidet und wie geschickt sie die Verfolgung mit zwei Kutschen organisiert hätten.
    »In Petrowsko-Rasumowskoje?« fragte er nach. »In diesem Nest?«
    »Ach, Erast Petrowitsch, man merkt, daß Sie lange nicht hier waren. Petrowsko-Rasumowskoje ist inzwischen ein

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