Diamantene Kutsche
minder wütendem Zischen: »Mich töten? Eigenhändig? Wohl kaum. Dazu fehlt Ihnen der Mut. Eher schicken Sie mir Schattenkrieger.«
Er versetzte dem Rivalen einen Stoß – seine Arme waren ausgezeichnet trainiert –, so daß der Ehrenwerte zur Seite flog und einen Stuhl umwarf.
Auf den Krach hin streckte der Lakai den Kopf zur Tür herein, und sein längliches englisches Gesicht wurde noch länger.
»Was für Schattenkrieger?« rief der Brite verblüfft. »Sie sind ja tobsüchtig! Ich werde eine Protestnote an Ihre Regierung schicken!«
»Nur zu!« knurrte Fandorin auf Russisch.
Er wollte die Treppe hinaufeilen, aber Bullcocks stürzte ihm nach. Er packte den Russen am Gehrock und zog ihn hinunter.
Der Vizekonsul drehte sich um – der oberste Berater der Regierung stand in Boxstellung vor ihm.
Nun, Boxen war kein Jiu-jitsu, da brauchte sich Fandorin nicht zu verstecken.
Auch er ging in Position: linke Faust vor, die Rechte schützend vorm Kinn.
Die erste Runde endete unentschieden – alle Schläge wurden erfolgreich pariert.
In der zweiten Runde kassierte der Vizekonsul einen kräftigen Stoß gegen den Oberkörper, auf den er mit einem passablen linken Haken reagierte.
Da wurde der Kampf durch eine Frauenstimme unterbrochen.
»Aldgie! Was soll das?«
Auf dem Treppenabsatz stand O-Yumi, ein Seidentuch über das Nachthemd geworfen. Das unfrisierte Haar fiel ihr über die Schultern, und die Sonne schien hindurch.
Fandorin schnappte nach Luft und ließ die Hände sinken.
»Das ist der Russe!« rief Bullcocks erregt. »Er ist verrückt geworden! Er behauptet, ich halte dich hier gewaltsam fest. Ich wollte den Trottel ein bißchen zur Besinnung bringen.«
O-Yumi kam die Treppe herunter.
»Was ist mit deinem Ohr, Aldgie? Es ist geschwollen und ganz rot. Das muß mit Eis gekühlt werden.«
Der intime, vertrauliche Ton und das zweimal wiederholte »Aldgie« lösten in Fandorin ein Gefühl aus, als stürze er in einen Abgrund.
Nicht nur das Sprechen, selbst das Atmen fiel ihm schwer, trotzdem brachte er, an O-Yumi gewandt, heiser heraus: »Ein Wort. Nur eins. Ich oder er?«
Auch Bullcocks schien etwas sagen zu wollen, doch ihm versagte die Stimme.
Beide Boxer schauten zu, wie die schwarzhaarige Frau in ihrem leichten, sonnendurchschienenen Gewand die Treppe herunterkam.
Dann war sie unten. Sie maß Fandorin mit einem vorwurfsvollen Blick von Kopf bis Fuß. Seufzend sagte sie: »Was für eine Frage. Du natürlich … Verzeih mir, Aldgie. Ich hatte gehofft, daß es zwischen uns anders endet, aber es soll wohl nicht sein.«
Der Brite war vollkommen niedergeschmettert. Zwinkernd blickte er von O-Yumi zu Fandorin. Seine Lippen zitterten, doch er fand keine Worte.
Plötzlich schrie er etwas Unverständliches und rannte die Treppe hinauf.
»Weg hier!« O-Yumi packte Fandorin am Arm und zog ihn zum Ausgang.
»W-warum?«
»Oben hat er sein Waffenzimmer!«
»Ich habe keine Angst!« verkündete Fandorin, doch die schmale Hand zerrte mit so überraschender Kraft an ihm, daß er beinahe gestürzt wäre.
»Weg hier!«
O-Yumi zog den Vizekonsul, der sich ständig umwandte, hinter sich her über den Rasen. Ihr Haar wehte im Wind, ihr Saum flatterte und blähte sich.
»Yumi! Um alles in der Welt!« ertönte es von oben.
Aus einem Fenster im ersten Stock lehnte Bullcocks und schwenkte ein Jagdgewehr.
Fandorin bemühte sich, der vor ihm Laufenden, so gut es ging,Deckung zu geben. Ein Schuß knallte, doch die Kugel flog weit daneben, man hörte nicht einmal das Pfeifen.
Als sich der Vizekonsul noch einmal umwandte, sah er den Engländer erneut den Karabiner anlegen, doch selbst aus dieser Entfernung konnte er erkennen, wie der Lauf schwankte – dem Schützen zitterten heftig die Hände.
Sie mußten dem Kutscher nicht zurufen, er solle losfahren. Das hatte er bereits getan, gleich nach dem Schuß, ohne auf seine Fahrgäste zu warten. Er peitschte die Pferde, zog den Kopf ein und schaute nicht zurück.
Fandorin riß im Laufen die Tür auf, faßte seine Begleiterin um die Taille und warf sie in die Kutsche. Dann sprang er selbst auf den Sitz.
»Ich habe mein Tuch fallengelassen und einen Schuh verloren!« rief O-Yumi. »Ach, ist das spannend!« Ihre weit geöffneten Augen glänzten. »Wohin fahren wir, Liebster?«
»Zu mir, ins Konsulat!«
Sie flüsterte: »Das heißt, wir haben ganze zehn Minuten. Zieh den Vorhang zu.«
Wie sie den Bund erreichten, bemerkte Fandorin gar nicht. Er kam zu sich, als
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