Diamantene Kutsche
würde sie beleidigen. Zu recht – sich der eigenen Geliebten zu schämen!
Ich schäme mich nicht, sagte sich Fandorin. Ich muß mich bloß erst darauf einstellen. Erstens. Und sie ist nicht angezogen. Zweitens.
»Bleib hier sitzen«, bat er. »Ich bin in einer Minute zurück.«
Er überquerte geschäftig den Hof, warf aber doch einen verstohlenen Blick zu Doronins Fenster. Doronin wandte sich ab – beinahe demonstrativ, wie Fandorin schien. Was hatte das zu bedeuten?
Vermutlich dies: Doronin wußte bereits von Suga und ahnte, daß das Ganze nicht ohne Fandorins Zutun geschehen war; indem er am Fenster stand, zeigte er, daß er voller Ungeduld auf dessen Erklärung wartete; mit seiner demonstrativen Gleichgültigkeit gab er zu verstehen, daß er diese Erklärungen nicht von ihm fordern würde – der Vizekonsul würde selbst entscheiden, wann es soweit war.
Sehr taktvoll, sehr vornehm und sehr passend.
Masa stand vor der Abstellkammer, reglos wie ein chinesischer Buddha.
»Nun, was macht er?« fragte Fandorin, wobei er seine Frage mit Gesten erklärte.
Der Diener berichtete mit Hilfe von Mimik und Gesten: Erst hat er geweint, dann gesungen, dann ist er eingeschlafen, einmal brauchte er den Nachttopf.
»Gut gemacht«, lobte der Vizekonsul. »Kanshisuru. Itte kuru.«
(Das hieß: »Bewachen. Ich gehe fort.«)
Er schaute kurz in sein Zimmer und lief rasch zurück zur Kutsche. Er öffnete die Tür.
»Du bist ohne Kleider und ohne Schuhe«, sagte er zu der entzückenden Insassin und legte einen Sack mexikanischer Silbermünzen auf den Sitz. »Kauf dir was zum Anziehen. Und überhaupt alles, was du für nötig hältst. Das hier sind meine Visitenkarten mit der Adresse. Wenn etwas geändert werden muß oder so, was weiß ich, gib sie dem Ladendiener, sie liefern die Sachen dann. Wenn du zurück bist, richtest du dich ein. Du bist die Herrin im Haus.«
Lächelnd, aber ohne großes Interesse berührte O-Yumi den klappernden Sack, streckte den nackten Fuß aus und streichelte damit Fandorins Brust.
»Ach, ich bin ein Trottel!« rief er. »In diesem Aufzug kannst du ja nicht einmal in einen Laden gehen!«
Er blickte verstohlen über die Schulter zum Konsulat und drückte die schlanke Wade.
»Wozu auch?« O-Yumi lachte. »Man wird mir alles, was ich brauche, in die Kutsche bringen.”
Die Anti-Bullcocks-Koalition, nun wieder in voller Besetzung, beriet im Büro des Chefs der Munizipalpolizei. Den Vorsitz führte, ohne daß dies ausdrücklich bestimmt wurde, Asagawa. Der russische Vizekonsul, bislang von allen als Anführer betrachtet, trat diese Rolle gern ab. Erstens hatte er, indem er seine Mitstreiter wegen einer Privatangelegenheit verließ, quasi das moralische Recht darauf verwirkt. Und zweitens wußte er, daß sein Herz und sein Verstand von etwas anderem in Anspruch genommen waren. Diesehochwichtige Angelegenheit aber duldete keinen halbherzigen Einsatz.
Übrigens bewältigte Asagawa die analytische Arbeit auch ohne Fandorin glänzend.
»Also, Gentlemen, wir haben einen Zeugen, der bereit ist auszusagen. Aber der Mann ist unzuverlässig, hat einen zweifelhaften Ruf, und ohne dokumentarische Belege sind seine Worte wenig wert. Wir haben einen mit Blut unterzeichneten Schwur der Satsuma-Samurai, doch dieses Indiz belastet nur den verstorbenen Intendanten Suga. Außerdem haben wir die von Suga unterschlagenen Polizeiberichte, aber auch die können nicht gegen Bullcocks verwendet werden. Das einzige unzweifelhafte Indiz ist das chiffrierte Schema der Verschwörung, das als zentrale Figur den ausländischen Berater der kaiserlichen Regierung zeigt. Aber damit dieses Schema als Beweis gelten kann, müssen wir es zunächst vollständig entschlüsseln. Vorher darf es nicht den Behörden übergeben werden. Das könnte ein schwerer Fehler sein – wir wissen schließlich nicht, welche weiteren Amtspersonen an der Verschwörung beteiligt sind. Wenn schon der Polizeichef selbst …«
»Richtig«, bekräftigte Lockstone. Er paffte seine Zigarre auf dem Fensterbrett, am offenen Fenster – mit Rücksicht auf den empfindlichen Geruchssinn von Doktor Twiggs. »Ich vertraue überhaupt keinem von den Japsen. Außer Ihnen natürlich, Freund Go. Der Doc soll mal seinen Grips anstrengen und die Krakeln entziffern. Wenn wir die bösen Buben kennen, schnappen wir sie uns alle mit einem Schlag. Stimmt’s, Rusty?«
Fandorin nickte, sah aber nur den Inspektor an.
»Das ist alles richtig, aber w-wir haben wenig Zeit.
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