Diamantene Kutsche
Bullcocks ist klug und hat mächtige Verbündete, die vor nichts haltmachen. Ich bin sicher, er wird besonderes Interesse für meine Person zeigen (hier räusperte sich der Vizekonsul verlegen) und für Sie, denn esist bekannt, daß wir gemeinsam am Fall der Satsuma-Troika gearbeitet haben.«
Damit wich Fandorin ein wenig von der Wahrheit ab, aber nur in Details. Selbst wenn der Engländer keinen persönlichen Grund gehabt hätte, ihn zu hassen, würden sich die Verschwörer, aufgeschreckt durch den Tod des Polizeichefs, für den russischen Vizekonsul interessieren. Er war zusammen mit Suga aktiv an der Untersuchung der Verschwörung gegen Okubo beteiligt gewesen – erstens. Der Schlag gegen den Polizeichef diente den Interessen des Russischen Reiches – zweitens. Und drittens: Bei der kürzlichen Auseinandersetzung mit Bullcocks hatte der Vizekonsul diesem unvorsichtigerweise zu verstehen gegeben, daß er den Briten verdächtigte, belastende Dokumente zu verbrennen. In diesem emotionalen Moment hatte der Ehrenwerte wahrscheinlich nicht weiter darauf geachtet, aber im nachhinein würde er sich bestimmt daran erinnern. Und daß er nun unablässig und äußerst voreingenommen an den russischen Diplomaten dachte, stand außer Zweifel.
Die Luft im Büro wurde allmählich knapp. Asagawa ging zum Fenster und trat neben den Sergeant, um ein wenig frische Luft zu schnappen, verschluckte sich jedoch statt dessen an dem üblen Tabakrauch und mußte husten. Er wedelte mit der Hand, um die Qualmwolke zu vertreiben, und wandte dem Fenster den Rücken zu.
»Vielleicht hat Fandorin-san recht. Erhöhte Vorsicht kann jedenfalls nicht schaden. Wir werden die Beweismittel aufteilen, damit sie sich nicht alle an einem Ort befinden. Das Schema nimmt Twiggs-sensei, das ist klar. Sie sind jetzt unsere ganze Hoffnung, Doktor. Gehen Sie um Himmels willen nicht aus dem Haus. Keine Hausbesuche, keine Sprechstunden. Stellen Sie sich krank.«
Twiggs nickte gewichtig und strich sich über die Jackentasche – darin lag offenbar das Schlüsselindiz.
»Ich nehme die Polizeiberichte, zumal drei davon von mir selbst stammen. Sergeant, Sie bekommen die Schwüre.«
Der Amerikaner nahm die drei Blätter mit den braunroten Schriftzeichen entgegen, betrachtete sie neugierig und schüttelte den Kopf.
»Sie können sich auf mich verlassen. Die Papiere bleiben bei mir, und ich tue keinen Schritt aus dem Revier. Ich werde sogar hier übernachten.«
»Ausgezeichnet, das ist das Beste.«
»Und was bekomme ich?« fragte Fandorin.
»In Ihrer Obhut befindet sich unser einziger Zeuge. Das ist mehr als genug.«
Fandorin wurde verlegen.
»Meine Herren … Ich wollte Sie gerade bitten, mir den Fürsten abzunehmen. Sehen Sie, meine häuslichen Umstände haben sich geändert. Ich kann ihn nun auf keinen Fall mehr bei mir behalten. Ich tausche ihn gegen jedes andere Beweismittel. Und bitte so bald als möglich.«
Der Inspektor sah den Vizekonsul forschend an, stellte aber keine Fragen.
»Gut. Aber am hellichten Tag geht das nicht, man würde ihn sehen. Folgendes: Ich weiß, wo wir den Fürsten unterbringen, ein guter Ort – da läuft er nicht weg. Bringen Sie ihn heute nacht kurz vor Morgengrauen zum siebenunddreißigsten Pier, das ist bei der Fujimi-Brücke.«
»D-danke. Und wenn der Doktor das Schema nicht entschlüsseln kann? Was dann?«
Auch darauf hatte der Japaner eine Antwort parat.
»Wenn der Sensei das Schema nicht entschlüsselt, müssen wir auf inoffiziellem Weg vorgehen. Dann geben wir alles, was wir wissen, zusammen mit den Beweismitteln und den Zeugenaussagen an eine ausländische Zeitung. Selbstverständlich keine britische. Zum Beispiel an die Redaktion des ›L’ echo du Japan‹. Die Franzosen werden begeistert sein von einer solchen Sensation. Mag Bullcocks sichauch rechtfertigen und einen Widerruf verlangen – das Geheime wird offenbar werden.«
Auf dem Heimweg fiel Fandorin die Vitrine des Modegeschäfts »Madame Betise« ins Auge, vielmehr ein riesiges Werbeplakat voller kleiner Röschen und Cupidos. »Neuheit der Pariser Saison! Netzstrümpfe, grob- und feinmaschig, alle Größen, mit Moirebändern!« Bei dem Gedanken an eine bewußte Wade errötete der Vizekonsul. Er ging in den Laden.
Die Pariser Strümpfe waren wunderschön, und an erwähnter Gliedmaße mußten sie sich umwerfend ausnehmen.
Fandorin wählte ein halbes Dutzend aus: schwarze, fliederfarbene, rote, weiße, dunkelrote und ein Paar in der Farbe
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