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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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und dann kamen von der Küste her wendige kleine Boote und nahmen Kisten mit Wein, Säcke mit Kaffee, Tabakbündel und Flechtkörbe mit Opium an Bord. Die Brüder Sakai, deren Schute hier vertäut lag, waren erwischt worden und saßen im Gefängnis. Asagawa hatte dem Boot eine nützliche Verwendung zugedacht.
    Er besichtigte den Laderaum. Der war trocken und geräumig. Man sah sofort, daß darin schon lange kein Fisch mehr transportiert worden war. Es war natürlich ziemlich eng und hart, aber das machte nichts, der Gefangene war schließlich kein Fürst. Obwohl – doch, genau das war er. Asagawa mußte unwillkürlich lächeln.
    Er hatte sich folgendes überlegt: Er wollte dem Vizekonsul den wichtigen Zeugen abnehmen, ihn in den Laderaum der »Kappamaru« sperren, das Boot rausfahren und Anker werfen. Dannwollte er Ruder und Segel entfernen und die Ankerkette abschließen – damit der Fürst nicht im Morphiumrausch den Anker lichtete. Sollte er ruhig ein, zwei Tage auf den Wellen schaukeln. Da konnte er nicht weglaufen, und keiner würde ihm etwas tun. An der Anlegestelle mußte ein Wachmann postiert werden – vorgeblich zur Bewachung der beschlagnahmten Wasserfahrzeuge.
    Zu dieser relativ frühen Stunde war der Pier noch belebt, aber kurz vor Sonnenaufgang würde keine Menschenseele mehr hier sein. Es müßte eigentlich alles glatt gehen.
    Nachdem der Inspektor sich überzeugt hatte, daß mit der Schute alles in Ordnung war, ging er seiner Wege.
    Die vergangene Nacht und der darauffolgende Tag waren sehr ereignisreich gewesen. Im Leben jedes Menschen gibt es einen Moment, der den Höhepunkt seines Daseins ausmacht. Oft ist man sich dessen nicht bewußt und merkt erst hinterher: Ja, das war es, wofür ich geboren wurde. Aber dann ist es zu spät, man kann nicht mehr dorthin zurück, kann nichts mehr ändern.
    Asagawa aber wußte, daß er eben jetzt seinen höchsten Augenblick erlebte, und war fest entschlossen, sein Karma nicht zu enttäuschen. Wer hätte gedacht, daß der Sohn und Enkel eines gewöhnlichen Yoriki eines Tages im Zentrum der großen Politik stehen, das Schicksal des Imperiums in der Hand halten würde? Immerhin hing es von ihm ab, wohin Japan sich wenden, welche Kraft es beherrschen würde!
    Wichtigtuerei war nicht Asagawas Art, doch heute war in der Tat ein besonderer Tag, auf den er stolz sein konnte. Also erlaubte er sich, ein wenig stolz zu sein – nur still für sich.
    Der Chef des Küstenreviers der Einheimischenpolizei von Yokohama bewohnte ein Zimmer im Gasthaus »Momoya« auf dem Noge-Hügel. Ein bescheidenes Etablissement, aber sauber, nicht teuer und über alles Lob erhaben (im Erdgeschoß befand sich eine ausgezeichnete Nudelsuppenküche). Außerdem gab es darin nocheinen weiteren Umstand, der für den unverheirateten jungen Mann von nicht geringer Bedeutung war.
    Dieser Umstand (er war weiblichen Geschlechts und hieß Emiko; ihm, das heißt ihr, gehörte das Momoya) brachte ihm sogleich höchstpersönlich das Abendessen aufs Zimmer.
    Asagawa, der die engen europäischen Kleider gegen einen leichten Yukata getauscht hatte, saß auf einem Kissen und sah selig Emiko zu, die ein Pulver aus getrockneten Algen über die heiße Nudelsuppe streute und warmen Sake aus einer Karaffe einschenkte. Die Aktenmappe mit den Dokumenten war unter der ausgebreiteten Matratze versteckt.
    Emiko blieb auch, als der Inspektor sich bedankt hatte, geräuschvoll die kochendheiße Sobasuppe schlürfte und zwischendurch aus einem separaten Eßschälchen seinen geliebten eingelegten Rettich fischte. Emikos rote Wangen und ihr gesenkter Blick verrieten Begehren. Asagawa war zwar todmüde und mußte bis zum Morgengrauen unbedingt noch ein wenig schlafen, aber eine Frau zu kränken war unhöflich. Darum sagte er, nachdem er sein Mahl mit einer Tasse ausgezeichneten Gerstentees beendet hatte, einen Satz, der für sie beide einen besonderen Sinn besaß: »Wie schön du heute bist!«
    Emiko errötete und bedeckte ihr Gesicht mit ihrem weiten Ärmel. Sie lispelte: »Ach, wieso sagen Sie so etwas …«
    Dabei schnürte sie bereits das Band um ihren Kimonogürtel auf.
    »Komm her.« Der Inspektor streckte den Arm nach ihr aus.
    »Das ist nicht recht. Die Gäste warten«, stammelte sie mit vor Leidenschaft ganz dumpfer Stimme und zog ihre Haarnadeln heraus.
    Vor Ungeduld wickelte sie nicht einmal den Gürtel vollständig ab. Sie machte eine Schulter frei, dann die andere und streifte den Kimono hastig über den Kopf, ganz

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