Diamantene Kutsche
Constable!«
»Nis flüh! Jetz gleis muß! Matlos stelben!«
»Und was soll ich dabei, ihm den Kopf wieder zusammenkleben? Geh, Mädchen, geh. Ich sag doch, morgen!«
Sie klingelte weiter, doch der Sergeant ging seelenruhig zurück. Das hätten sie gern, daß der Polizeichef wegen einer solchen Lappalie mitten in der Nacht losrannte! Selbst ohne die wichtigen Papiere unterm Hemd wäre er nicht gegangen.
Als die Glocke endlich verstummte, wurde es ganz still. Lockstone hörte nicht einmal seine eigenen Schritte – seine bestrumpftenFüße liefen vollkommen lautlos über den Holzboden. Ohne diese absolute Stille hätte der Sergeant niemals das leise Rascheln hinter der Bürotür gehört.
Da drin war jemand!
Lockstone erstarrte, sein Herz hämmerte im Galopp. Er legte ein Ohr an den Türspalt – tatsächlich! Irgend jemand durchwühlte seinen Schreibtisch, zog die Schubladen auf.
Diese verdammten Hundesöhne! Sie hatten ihn absichtlich aus dem Zimmer gelockt und dann … Aber wie waren sie reingekommen? Er hatte doch abgeschlossen, als er in den Flur hinausgegangen war!
Na wartet, ihr Mistkerle!
Den Revolver in der Linken, steckte er lautlos den Schlüssel ins Schloß. Drehte ihn herum, riß die Tür auf und stürmte ins Zimmer.
»Stehenbleiben! Ich schieße!«
Das hätte er auch getan, doch ihn erwartete eine Überraschung. Vor seinem Schreibtisch stand eine winzige Gestalt, höchstens drei Fuß groß. Im ersten Moment glaubte Lockstone, er träume noch immer von dem Zwerg.
Doch als er die Gaslampe anknipste, sah er, daß es kein Zwerg war, sondern ein kleiner japanischer Junge, splitternackt.
»Wer bist du?« stammelte Lockstone. »Woher? Wie bist du reingekommen?«
Der kleine Teufel huschte rasch zum Fenster, sprang hoch wie ein Äffchen, zwängte sich seitlich durchs Gitter, schraubte sich ins Lüftungsfenster und wäre beinahe abgehauen, doch der Sergeant ließ ihn nicht entwischen – er rannte zu ihm, packte ihn am Bein und zog ihn zurück.
Zumindest war nun die dritte Frage geklärt. Der Nackte war durchs Lüftungsfenster hereingekommen, das selbst für ihn sehr eng gewesen war, wovon die Schrammen auf seinen Hüften kündeten.Vermutlich war er darum nackt – bekleidet hätte er nicht durchgepaßt.
Das war ein Ding! Lockstone hatte mit allen möglichen Leuten gerechnet – mit Spionen, Mördern, hinterhältigen Ninja, doch statt dessen stand nun dieser kleine Hungerleider vor ihm.
»Los, antworte!« Er packte den Jungen an den mageren Schultern und schüttelte ihn. »Kataru! Dareda? Dare okutta?« 1
Der kleine Bastard sah den riesigen rotgesichtigen Amerikaner mit starren Augen an. Das hochgereckte Gesicht – schmal und spitznasig – war leidenschaftslos, undurchdringlich. Ein Iltis, ein richtiger Iltis, dachte der Sergeant.
»Du schweigst?« fragte er drohend. »Ich werde dir schon die Zunge lösen! Mita ka?« 2
Er löste die Gürtelschnalle und zog den Riemen aus der Hose.
Der Junge (er war höchstens acht, keinesfalls älter) sah Lockstone noch immer gleichgültig, ja müde an, wie ein kleiner Greis.
»Na?« blaffte der Sergeant drohend.
Doch der seltsame Junge erschrak nicht, er schien sich sogar zu amüsieren. Jedenfalls verzog er den Mund, als könne er sich das Lächeln nicht verbeißen. Ein schwarzes Röhrchen glitt aus seinem Mund. Ein Pfeifen, und der Sergeant spürte etwas wie einen Wespenstich in der Brust.
Verwundert sah er aus seinem Hemd, dort, wo das Herz saß, etwas Glänzendes ragen. Eine Nadel? Woher?
Er wollte sie herausziehen, konnte aber merkwürdigerweise nicht die Hände heben.
Dann summte und dröhnte alles, und Lockstone merkte, daß er auf dem Boden lag. Der Junge, den er bisher nur von oben gesehen hatte, hing nun über ihm. Er war riesengroß und verdeckte die gesamte Zimmerdecke.
Eine Hand von unglaublichen Ausmaßen kam auf Lockstone zu und wurde immer größer. Dann wurde es dunkel, und alle Geräusche verstummten. Leichte Finger fuhren über seine Brust, und das kitzelte.
Zuerst das Auge,
Und dann, als allerletztes,
Versagt das Gefühl.
Kopf ab
Am Ende dieses langen Tages ging Asagawa zum siebenunddreißigsten Pier, der Polizeianlegestelle für Gefangenenboote. Dort lag bereits die dritte Woche die »Kappa-maru«, eine große Fischerschute, beschlagnahmt wegen Schmuggelverdachts. In letzter Zeit schipperten häufig Dschunken aus Hongkong und Macao in der Bucht herum. Sie kreuzten in neutralen Gewässern, warteten eine mondlose Nacht ab,
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