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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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wie hast du dann bezahlt?«
    O-Yumi hob eine nackte Schulter.
    »Genauso wie früher, als ich noch bei Aldgie lebte. Ich habe überall deine Visitenkarte hinterlassen.«
    »Und man hat dir K-kredit gewährt?«
    »Selbstverständlich. Als ich in den dritten Laden kam, wußten schon alle, daß ich nun bei dir lebe. Madame Betise (ich war auch bei ihr, aber diese schrecklichen Strümpfe habe ich nicht gekauft) hat mir gratuliert und gesagt, du seist sehr schön, viel schöner als Bullcocks. Der ist natürlich reicher, aber das ist nicht so wichtig, wenn ein Mann so schön ist wie du. Auf der Rückfahrt habe ich die Vorhänge aufgezogen. Alle haben mich angeschaut!«
    Mich auch, dachte Fandorin, der sich erinnerte, wie man sich auf der Straße nach ihm umgesehen hatte. Mein Gott, mein Gott!
     
    Spätabends saßen sie zu zweit beisammen und tranken Tee. Fandorin lehrte sie, auf Kutscherart Tee zu trinken: Man schlürfte ihn aus der Untertasse, kaute Zucker dazu, pustete und ächzte geräuschvoll.
    O-Yumi, rot im Gesicht, das russische Tuch auf dem Kopf, blies die Backen auf, nagte mit ihren weißen Zähnen am Zucker und lachte laut. Sie hatte nun nichts Exotisches, Japanisches mehr an sich, und Fandorin kam es vor, als hätten sie schon viele Jahre einträchtig zusammengelebt. Und wenn Gott wollte, würde es noch lange so bleiben.
    »Wozu ist es eigentlich gut, dein Jojutsu«, sagte er. »Warum bist du auf die Idee gekommen, diese Scheußlichkeit zu lernen, die Lebendiges, Heißes, Natürliches in M-mathematik verwandelt?«
    »Aber ist das nicht das Wesen jeder Kunst? Das Natürliche in seine Bestandteile zu zerlegen und sie neu zusammenzusetzen, auf eigene Weise? Mit vierzehn habe ich angefangen, die Kunst der Liebe zu erlernen.«
    »Mit v-vierzehn? Sag bloß, das hast du selbst entschieden?«
    »Nein. Das hat mir mein Vater befohlen. Er sagte: ›Wärest du mein Sohn, würde ich dich dazu anhalten, deine Fähigkeit im Denken zu schulen, deine Kraft und deine Geschicklichkeit, denn das sind die wichtigsten Waffen eines Mannes. Aber du bist eine Frau, und deine wichtigste Waffe ist die Liebe. Wenn du sie perfekt beherrschst, sind die klügsten, stärksten und wendigsten Männer Wachs in deinen Händen.‹ Mein Vater wußte, wovon er sprach. Er ist der klügste, stärkste und wendigste Mann, den ich kenne. Mit vierzehn war ich noch dumm und wollte nicht zu einer Jojutsu-Meisterin in die Lehre, aber ich liebte meinen Vater, darum gehorchte ich ihm. Natürlich hat er recht behalten, wie immer.«
    Fandorin runzelte die Stirn und dachte: In jedem zivilisierten Land würde man einen Vater, der seine minderjährige Tochter an ein Bordell verkauft, ins Gefängnis sperren.
    »Wo ist er jetzt, dein Vater? Seht ihr euch oft?«
    O-Yumis Gesicht erlosch plötzlich, ihr Lächeln verschwand, und sie biß die Lippen zusammen wie vor unterdrücktem Schmerz.
    Er ist tot, mutmaßte Fandorin, und aus Reue darüber, daß er der Geliebten weh getan hatte, beeilte er sich, seinen Fauxpas wettzumachen: Sanft streichelte er ihre Nackenfurche (was er im übrigen schon lange tun wollte).
    Viel später, als sie im Bett lagen, sagte O-Yumi seufzend, den Blick zur Decke gerichtet: »Jojutsu ist eine wunderbare Kunst. Sie allein macht die Frau stärker als den Mann. Aber nur solange, bis die Frau den Kopf verliert. Ich fürchte, genau das passiert mir gerade. Was für eine Schande!«
    Fandorin kniff die Augen zusammen – übervoll von unerträglichem, irrsinnigem Glück.
     
    Sein oder nicht sein –
    Dumme Frage für jeden,
    Der das Glück erlebt.

Kitzel
    Im Büro zu übernachten war für Walter Lockstone nichts Neues. Laut Vertrag mit der Stadt Yokohama stand dem Chef der Munizipalpolizei ein Haus zu, sogar voll eingerichtet, aber an diese geräumige Unterkunft konnte sich der Sergeant nicht gewöhnen. Sofas und Sessel waren noch immer in Schonbezüge gehüllt, der große Glaskronleuchter noch kein einziges Mal angeschaltet worden, das Ehebett verstaubte ungenutzt – der ehemalige Präriebewohnerschlief lieber auf einem schlichten Feldbett. Er fühlte sich einsam in dem einstöckigen Haus, Decke und Wände drückten ihm aufs Gemüt. Im Büro war es besser. Die Enge hier war vertraut und unspektakulär: Schreibtisch, Tresor, Waffenregal. Es roch nicht nach Leere wie zu Hause. Hier schlief Lockstone auch besser. Er übernachtete gern hier, sobald sich ein Vorwand dafür bot, und den hatte er heute, sogar einen höchst gewichtigen.
    Den Wachhabenden

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