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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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setzte sich ruckartig auf und biß sich auf die Lippen, um nicht vor Schmerz aufzuschreien.
    »Masa, anziehen!«
     
    Kurz nach zwei Uhr nachmittags kehrte Fandorin ins Konsulat zurück, ganz betäubt vom Ausmaß der Katastrophe. Seine Erschütterung wäre wohl noch größer gewesen ohne den ständigen Schwindel und die Krämpfe, die seinen Schädel immer wieder von einer Schläfe zur anderen durchzuckten. Das vermittelte ihm ein Gefühl der Irrealität des Geschehens, eines lastenden Alpdrucks. Es war einfach zu schlimm, schier unmöglich. Das alles konnte nicht wahr sein!
    Inspektor Asagawa war von irgendwelchen Randalierern getötet worden. Glaubte man der japanischen Polizei, rein zufällig, bei einer sinnlosen Prügelei unter Betrunkenen.
    Sergeant Lockstone war in seinem Büro an Herzversagen gestorben.
    Bei Doktor Twiggs war, wie die Obduktion ergab, ein Blutgefäß im Gehirn geplatzt.
    Das alles konnte man für wenig wahrscheinliche, aber theoretisch mögliche Zufälle halten – wäre da nicht der Unsichtbaregewesen, der den Zeugen getötet hatte, und der Verlust aller drei Beweisstücke.
    Aus dem Büro des Doktors war das chiffrierte Schema verschwunden. Bei dem Sergeant wurden keinerlei mit Blut geschriebene Schwüre gefunden. Von der Mappe mit den Meldungen, die der Inspektor aufbewahrt hatte, hörte die japanische Polizei zum erstenmal.
    Sobald Fandorin versuchte, den Sinn dieser ungeheuerlichen Kette von Ereignissen zu ergründen, wurde sein Schwindel heftiger und steigerte sich zur Übelkeit.
    Geschweige denn, daß er die Kraft aufbrachte, über die Hypothese »Don Tsurumaki« nachzudenken.
    Am meisten aber quälte den kranken Vizekonsul O-Yumis Verschwinden. Wo war sie? Würde sie wiederkommen? Was für ein Gebirgskraut?
    Irrsinn, Irrsinn, Irrsinn!
     
    Gleichzeitig mit Fandorin, allerdings von der Mainstreet her, traf ein zweisitziger Kuruma vor dem Konsulat ein, aus dem Doronin und (ausgerechnet!) Marineattaché Bucharzew stiegen. Sie entdeckten den näher kommenden Vizekonsul und starrten ihn an.
    »Da ist er, der Held«, sagte der Kapitänleutnant laut zu Doronin. »Sie sagten doch, er sei ohne Bewußtsein, fast dem Tode nahe, dabei spaziert er fröhlich herum. Hätte ich das gewußt, wäre ich nicht hergekommen, sondern hätte ihn nach Tokio beordert.«
    Diese Einleitung verhieß nichts Gutes – kein Wunder.
    Doronin musterte das weiße, wie gepudert wirkende Gesicht seines Stellvertreters.
    »Wie geht es Ihnen? Warum sind Sie aufgestanden?«
    »D-danke, mit mir ist alles in Ordnung.«
    Fandorin gab dem Konsul die Hand; mit Bucharzew, der seine Hand demonstrativ hinterm Rücken versteckte, wechselte er nureinen unfreundlichen Blick. Sie unterstanden verschiedenen Behörden, gehörten aber derselben Beamtenklasse an, so daß es für Fandorin rangmäßig keinen Grund zur Unterwürfigkeit gab.
    Aber der Rang war das eine, die Dienststellung etwas anderes, und der Marinemann demonstrierte unmißverständlich, wer hier die Staatsmacht repräsentierte.
    Im Büro des Konsuls setzte er sich, ohne zu fragen, auf den Platz des Hausherrn am Schreibtisch. Doronin mußte mit einem Stuhl vorliebnehmen, Fandorin blieb stehen – nicht aus Schüchternheit, sondern weil er fürchtete, nicht wieder aufstehen zu können. Er lehnte sich an die Wand, die Arme vor der Brust verschränkt.
    »Schreiber! He, wie heißen Sie gleich …«, rief der Kapitänleutnant zur offenen Tür hinaus. »Bleiben Sie in der Nähe, vielleicht werden Sie gebraucht!«
    »Sehr wohl«, tönte es vom Flur her.
    Doronin verzog das Gesicht, schwieg jedoch. Fandorin begriff, daß Bucharzew ihn einschüchtern wollte, ihm signalisierte: Dies hier ist ein strenges Strafgericht, gleich diktiere ich das Urteil.
    »Von Ihrem Vorgesetzten haben Seine Exzellenz und ich nichts Vernünftiges erfahren können«, begann Bucharzew böse und energisch und durchbohrte Fandorin mit seinem Blick. »Wsewolod Vitaljewitsch behauptet zwar, er trage für alles die Verantwortung, kann aber nichts erklären. Deshalb bin ich nun mit den Nachforschungen beauftragt. Gehen Sie davon aus, Fandorin, daß Sie in meiner Gestalt dem Gesandten Rede und Antwort stehen. Mehr noch – dem Russischen Staat.«
    Nach kurzem Zögern verbeugte sich Titularrat Fandorin: Er war bereit, dem Staat Rede und Antwort zu stehen.
    »Also, erstens«, fuhr der Kapitänleutnant im Ton eines Staatsanwalts fort, »die einheimische Polizei von Yokohama hat in der Nähe irgendwelcher Lagerhäuser den

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