Diamantene Kutsche
Verdächtigen, auf den man die gesamte Schuld schieben kann, oder – sehen Sie es mir nach.« Bucharzew machte eine bedeutende Pause und schloß, unmittelbar an Fandorin gewandt: »Aber denken Sie daran: Kein Duell mit Bullcocks!«
»Aber ich kann mich doch nicht weigern! Das w-wäre unehrenhaft!«
»Ich weiß nicht, was bei den derzeitigen Spannungen im russisch-britischenVerhältnis die größere Katastrophe wäre: Wenn Sie Bullcocks töten, oder wenn er Sie tötet.« Bucharzew überlegte, hob jedoch bedauernd die Achseln. »Nein, das ist ausgeschlossen. Wenn die Ehre des Landes auf dem Spiel steht, Fandorin, muß man die persönliche Ehre preisgeben können.«
Der Vizekonsul sah den Marineattaché finster an.
»Die persönliche Ehre darf man niemals und unter keinen Umständen preisgeben, Kapitänleutnant.«
Nach dieser erneuten Abfuhr änderte Bucharzew abermals seinen Ton, ließ das Pathos beiseite und wurde herzlich.
»Ach was, Erast Petrowitsch. Was bedeuten unser kleinlicher Stolz und unsere Ambitionen schon vor dem Antlitz der Geschichte? Denn genau darum geht es hier. Wir stehen in vorderster Front der europäischen Kultur. Ja, ja, tun Sie nicht so erstaunt. Ich denke in letzter Zeit viel darüber nach. Ich habe neulich mit Ihnen gestritten, Wsewolod Vitaljewitsch, und über eine militärische Bedrohung durch Japan gespottet. Aber anschließend habe ich gründlich darüber nachgedacht und bekenne nun: Sie haben recht, tausendmal recht. Man muß es nur breiter betrachten. Es geht nicht um das kleine Japan. Bald wird ein neuer Dschingis Khan auf Europa zukommen. Schon erwacht und regt sich das riesige China. Wenn diese gelbe Welle losrollt, wird ihr Kamm bis zum Himmel reichen, wird Korea, die Mongolei und so weiter mitreißen, und ganz oben auf der Schaumkrone wird das rauflustige Inselreich mit seinem kriegslüsternen Adel und seiner habgierigen neureichen Bourgeoisie sitzen!« Bucharzew klang geradezu prophetisch, seine Augen sprühten Feuer – vermutlich hielt der Kapitänleutnant diese Rede im Geist bereits vor den höchsten Männern des Staates. »Neuer Mongolismus oder Gelbe Gefahr, so würde ich das nennen. Millionen und Abermillionen wilder, schlitzäugiger, krummbeiniger Gelbhäute werden als unaufhaltsame Welle die friedlichen Weiten der Alten Welt überschwemmen. Und wieder, wie zu Zeiten derHunnen und Tataren, sind die ersten, auf die der Eroberer treffen wird, wir Slawen. Daran müssen wir denken, Erast Petrowitsch, nicht an unseren persönlichen Stolz.«
Mit diesem in jeder Hinsicht würdevollen Satz, geäußert mit kameradschaftlich-überlegenem Tadel, entfernte sich der Kapitänleutnant. Ohne weitere Worte, um die Wirkung nicht zu zerstören. Er stand auf, verabschiedete sich mit einem militärisch knappen Kopfnicken und einem kurzen »Meine Herren!« und schritt zur Tür.
Doronin stand auf, rührte sich jedoch nicht von der Stelle.
»Shirota begleitet Sie«, sagte er halblaut. Dann, als Bucharzew bereits draußen war, setzte er ärgerlich hinzu: »Dieser Halunke! Alles Lüge! Er wird natürlich keine vierundzwanzig Stunden warten. Nein, er wird seine Petzereien gleich im Zug verfassen. Er wird sie unverzüglich ans Ministerium schicken, und eine Kopie an die Geheimpolizei. Und damit es nicht aussieht wie eine gewöhnliche Denunziation, wird er diesen ganzen Blödsinn von der Gelben Gefahr dazuschreiben, den er eben vor uns geprobt hat. Und das Schlimmste ist: Damit wird er in Petersburg allseits auf Beifall stoßen.« Der Konsul ließ sich erschöpft in einen Sessel fallen. »Man wird mich in den Ruhestand schicken, mindestens … Ach, zum Teufel mit dem Dienst!« Er schüttelte fröhlich den Kopf. »Ich komme auch ohne ihn aus. Aber nach Rußland kehre ich nicht zurück. Ich lasse mich naturalisieren und werde Japaner, jawohl! Wie denken Sie darüber?« Er lachte, als wollte er zu verstehen geben, daß er selbstredend scherzte.
Fandorin dachte darüber gar nichts, es gab auch so genug, worüber er sich den (ohnehin bereits angeschlagenen) Kopf zerbrechen mußte.
»Der oberste Akunin in dieser Geschichte ist also Don Tsurumaki?« flüsterte er vor sich hin.
»Was sagten Sie? Akunin?«
»Na ja, der oberste Schurke. Man hat mir erklärt, die japanischen Schurken seien anders als anderswo. Das heißt, sie sind natürlich ebenso böse, ebensolche Höllenbrut, aber mit ihren eigenen P-prinzipien und nicht ohne edle Gesinnung. So in der Art.«
Doronin lachte spöttisch.
»Japan,
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