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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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allzu lange.
    Hinter dem Derwisowskaja-Mädchengymnasium hielten die Gespanne nebeneinander, einer der Kutscher nahm sämtliche Zügel in die Hand, die übrigen sieben Personen gingen auf ein einstöckiges Haus mit einem großen Schaufenster zu.
    Einer machte sich an der Tür zu schaffen, winkte den anderen, und die ganze Gruppe verschwand im Inneren.
    Fandorin, der um die Ecke schaute, überlegte, wie er am besten an den Kutscher herankam. Der stand auf dem Bock und äugte aufmerksam nach allen Seiten. Ringsum lag alles in hellem Mondschein.
    In diesem Augenblick war auch der keuchende Masa heran. Als er an Fandorins Gesichtsausdruck erkannte, daß dieser zu entschlossenem Handeln bereit war, warf er seinen falschen Zopf über die Schulter und flüsterte wütend auf Japanisch: »Ich werde mich nur einmischen, wenn die Anhänger Seiner Majestät des Mikado Sie töten wollen. Wenn Sie dagegen Anhänger Seiner Majestät töten, dann rechnen Sie nicht mit meiner Hilfe.«
    »Laß mich in Ruhe«, erwiderte Fandorin auf Russisch. »Stör mich nicht.«
    Aus dem Haus drang ein unterdrückter Schrei. Fandorin durfte nicht länger zögern.
    Er rannte lautlos zur nächsten Straßenlaterne und versteckte sich dahinter, nur ein Dutzend Schritte entfernt vom Kutscher. Er holte ein mit einem Monogramm verziertes Zigarettenetui hervor und schleuderte es in die entgegengesetzte Richtung.
    Auf das Geräusch hin drehte der Kutscher sich um und wandte der Laterne den Rücken zu. Genau das hatte Fandorin beabsichtigt. Mit drei Sätzen war er bei der Kutsche, sprang aufs Trittbrett und preßte dem Kutscher den Hals zusammen. Der sackte zusammen, und Fandorin bettete ihn sanft aufs Straßenpflaster, neben die Vollgummiräder.
    Von hier aus sah er das Schild über der Tür. »Jossif Baranow. Brillant-, Gold- und Silbererzeugnisse«, las er und murmelte: »Das verstehe ich nicht.«
    Er lief zum Schaufenster und blickte hinein – zum Glück waren drinnen mehrere elektrische Taschenlampen angeschaltet worden.
    Im Laden war es dunkel, man sah nur Schatten hin und her huschen. Doch plötzlich lag der Raum in unerträglich grellem Licht, ein Feuerregen sprühte nach allen Seiten, und man sah gläserne Theken, hin und her laufende Menschen und eine Tresortür, vor der ein Mann mit einem Schweißapparat neuesten Modells hockte – Fandorin kannte es von einer Abbildung in einer französischen Zeitschrift.
    Auf dem Fußboden, gegen die Wand gelehnt, saß ein gefesselter Mann, offenkundig der Nachtwächter: Sein Mund war mit Pflaster zugeklebt, aus einer Kopfwunde rann Blut, seine irren Augen starrten in das teuflische Feuer.
    »So w-weit sind die japanischen Agenten also gesunken!« Fandorin drehte sich zu seinem Kammerdiener um. »Steht es in Japan finanziell so schlecht?«
    »Die Diener Seiner Majestät lauben nicht«, antwortete Masa, den Blick auf das malerische Bild gerichtet. »Das sind Läuber. Die›Moskauer Lasanten‹, habe ich in der Zeitung gelesen. Sie fahren mit Auto oder mit Kutsche vor, sie lieben Fortslitt.« Das Gesicht des Japaners erstrahlte in einem Lächeln. »Wie ssön! Herr, ich kann Ihnen helfen!«
    Fandorin hatte inzwischen auch begriffen, daß er einem Irrtum aufgesessen war – er hatte simple Warschauer Banditen, die auf Gastspiel in Moskau waren, für Saboteure gehalten. Soviel Zeit sinnlos vergeudet!
    Und der Schwarzhaarige, der Reisende aus dem sechsten Coupé, der auf derart verdächtige Weise vom Unglücksort verschwunden war?
    Ganz einfach, antwortete Fandorin sich im stillen. In Petersburg wurde vor drei Tagen ein Raubüberfall begangen, alle Zeitungen hatten aufgeregt darüber berichtet. Ein maskierter Unbekannter hatte die Kutsche der Gräfin Woronzowa angehalten, Ihre Erlaucht bis auf den letzten Faden ausgezogen und sie splitternackt, nur mit einem Hut bekleidet, auf der Straße stehenlassen. Das Pikante daran war, daß die Gräfin sich ausgerechnet an diesem Abend mit ihrem Mann überworfen hatte und auf dem Weg in ihr Elternhaus war, und zwar mit ihrem sämtlichen Schmuck. Darum hatten die Männer im Landhaus den Schwarzhaarigen einen »rasanten Kerl« genannt. Er hatte die Sache in Petersburg gedreht und war auch zur Moskauer Aktion rechtzeitig gekommen.
    Wäre er nicht so bitter enttäuscht gewesen und so ärgerlich auf sich selbst, würde Fandorin sich um diese kriminelle Angelegenheit nicht gekümmert haben, doch die Wut verlangte nach einem Ventil, und außerdem hatte er Mitleid mit dem Nachtwächter;

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