Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
lediglich Mittel, um das Wesen Buddhas zu erlangen.«
    Hier konnte Fandorin sich nicht mehr beherrschen.
    »Wenn für euch Diamantene Kutscher menschliche Beziehungen nichts sind und Betrug keine Sünde ist, warum solltest du dann ein Wort halten, das du jener gegeben hast, die nicht mehr lebt? Du hast es deiner Tochter versprochen – na und! Wortbruch ist doch für euch eine Tugend, oder? Töte mich, und die Sache hat ein Ende. Wozu noch Zeit mit mir verschwenden, mir P-predigten halten?«
    Tamba sprach: »Du hast zugleich recht und unrecht. Recht hast du, weil es richtig wäre, das Wort zu brechen, das ich meiner Tochter gab, denn das würde mich auf eine höhere Stufe der Freiheit erheben. Unrecht hast du, weil Midori nicht nur meine Tochter war; sie war eine Eingeweihte, sie war meine Gefährtin in der Diamantenen Kutsche. Diese Kutsche ist eng, und diejenigen, die darin sitzen, müssen Regeln einhalten – aber nur im Verhältnis zueinander. Sonst würden wir mit den Ellbogen aneinandergeraten, und die Kutsche würde umstürzen. Das ist das einzige Gesetz, an das wir uns halten. Es ist viel strenger als die Zehn Gebote, die Buddha den gewöhlichen, schwachen Menschen gab. Unsere Regeln lauten: Wenn dich dein Gefährte in der Kutsche bittet, zu sterben, dann tu es; selbst wenn er dich bittet, aus der Kutsche zu springen, tu es – sonst gelangst du nicht dorthin, wohin du strebst. Was ist im Vergleich dazu Midoris kleine Laune?«
    »Ich bin also eine kleine Laune«, murmelte Fandorin.
    Tamba sprach: »Es ist unwichtig, woran du glaubst und welcher Sache du dein Leben weihst – Buddha ist das einerlei. Wichtig ist, daß du deiner Sache treu bist – das ist die Hauptsache, denn dann bist du dir selbst und deiner Seele treu, also bist du Buddha treu. Wir Shinobi dienen für Geld unserem Auftraggeber und geben mühelos unser Leben hin – aber nicht um des Geldes willen und schon gar nicht wegen des Auftraggebers, den wir häufig verachten. Wir sind der TREUE treu und dienen dem DIENST. Alle um uns herum sind warm und heiß, wir aber sind stets kalt, doch unsere eisige Kälte brennt stärker als Feuer.«
    Tamba sprach: »Ich will dir eine wahre Legende über Buddhas Worte erzählen, die nur wenige Eingeweihte kennen. Einmal erschien der Allerhöchste vor den Bodhisattva und sprach zu ihnen: ›Wenn ihr Lebendiges tötet, euch in Lüge übt, stehlt, Exkremente freßt und Urin dazu trinkt – erst dann werdet ihr Buddha. Wenn ihr mit eurer Mutter, eurer Schwester, eurer Tochter Unzucht treibt und tausend andere Schandtaten begeht, ist euch ein Ehrenplatz im Reich Buddhas gewiß.‹ Die wohltätigen Bodhisattva waren entsetzt ob dieser Worte, zitterten und sanken zu Boden.«
    »Zu Recht!« bemerkte Fandorin.
    »Nein. Sie hatten nicht verstanden, wovon der Allerhöchste sprach.«
    »Wovon sprach er d-denn?«
    »Davon, daß Gut und Böse in Wahrheit nicht existieren. Das erste Gebot eurer Religion und auch unserer lautet: Töte nichts Lebendiges. Sag mir – ist Töten gut oder schlecht?«
    »Schlecht.«
    »Und eine Tigerin zu töten, die ein Kind anfällt, ist das gut oder schlecht?«
    »Gut.«
    »Gut für wen – für das Kind oder für die Tigerin und ihre Jungen? Das hat Buddha gemeint. Können die Dinge, die Er aufgezählt hat und die den Bodhisattva so ungeheuerlich schienen, nicht unter bestimmten Bedingungen ein Ausdruck höchster Erhabenheit oder Selbstaufopferung sein? Denk nach, bevor du antwortest.«
    Fandorin dachte nach.
    »Ja, wahrscheinlich …«
    Tamba sprach: »Wenn es aber so ist, was sind dann die Gebote wert, die das Böse einschränken? Irgend jemand muß die Kunst des Bösen beherrschen, damit es vom schrecklichen Feind zum gehorsamen Sklaven wird.«
    Tamba sprach: »Die Diamantene Kutsche ist der WEG von Menschen, die von Mord, Diebstahl und weiteren Todsünden leben, dabei aber nicht die Hoffnung verlieren, das Nirwana zu erreichen. Wir können nicht viele sein, aber wir müssen und werden immer existieren. Die Welt braucht uns, und Buddha denkt an uns. Wir sind ebenso seine Diener wie alle anderen. Wir sind das Messer, mit dem Er die Nabelschnur durchtrennt, und der Fingernagel, mit dem Er den Schorf vom Leib kratzt.«
    »Nein!« rief Fandorin. »Das akzeptiere ich nicht! Du hast den Weg des Bösen gewählt, weil du selbst es wolltest. Gott braucht das nicht!«
    Tamba sprach: »Ich habe nicht versprochen, dich zu überzeugen, ich habe versprochen, es dir zu erklären. Ich habe zu meiner

Weitere Kostenlose Bücher