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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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unbestritten war) machte FandorinAngst. Doch er gehörte nicht zu den Menschen, in denen Angst Lähmung oder panische Betriebsamkeit auslöst – bei ihm führte sie zur Mobilisierung aller geistigen Reserven.
    »Melinit, M-melinit«, wiederholte er nachdenklich und ging auf und ab in dem Büro, das Danilow ihm zeitweise überlassen hatte. Er schnippte mit den Fingern der auf den Rücken gelegten Linken, rauchte eine Zigarre, stand lange am Fenster und blinzelte in den klaren Maihimmel.
    Daß die Japaner auch bei den nächsten Sabotageakten Melinit benutzen würden, stand für ihn außer Zweifel. Sie hatten diesen Sprengstoff auf der Tesoimenitski-Brücke getestet und waren mit dem Ergebnis zufrieden.
    Melinit wurde in Rußland nicht hergestellt, es wurde nur von den Franzosen und von den Japanern eingesetzt, bei letzteren hieß es Shimoze oder, in der von den russischen Zeitungen entstellten Version, »Schimosa«. Ihm schrieb man eine entscheidende Rolle für den Sieg bei Tsushima zu: Die Melinitgeschosse hatten eine weit größere Spreng- und Zerstörungskraft als die russischen Pulvergranaten.
    Melinit oder Pikrinsäure eignete sich ideal für Sabotageakte: Es hatte eine große Sprengkraft, ließ sich ausgezeichnet mit verschiedenen Zündertypen kombinieren und war zugleich sehr kompakt. Dennoch benötigte man für eine große moderne Brücke einen Sprengkörper von mehreren Pud. 2 Woher wollten die Saboteure eine solche Menge nehmen und wie diese transportieren?
    Hier lag die Lösung, das wußte Fandorin sofort, doch bevor er die Suche in der Hauptrichtung aufnahm, traf er Vorsichtsmaßnahmen in einer Nebenrichtung.
    Für den Fall, daß die Melinit-Hypothese falsch war und der Gegner gewöhnliches Dynamit oder Pyroxylin einsetzen wollte, ließ Fandorin an alle Militärdepots und Arsenale ein geheimes Rundschreiben mit einer Warnung schicken. Dieses Papier würde dieWachsamkeit der Posten zwar nicht erhöhen, die diebischen Depotleiter aber davon abhalten, Sprengstoff illegal zu verkaufen – auf diesem Wege beschafften sich nämlich die russischen Bombenleger üblicherweise das todbringende Material.
    Nachdem diese Vorkehrung getroffen war, konzentrierte sich Fandorin auf mögliche Wege für einen Melinit-Transport.
    Der Sprengstoff würde aus dem Ausland kommen, am ehesten aus Frankreich. (Wohl kaum aus Japan!)
    Eine Fracht von mehreren Pud läßt sich nicht im Koffer transportieren, überlegte Fandorin, wobei er ein Röhrchen mit einem hellgelben Pulver schwenkte, das er aus dem Artillerielabor bekommen hatte. Zerstreut atmete er den intensiven Geruch ein – das vielzitierte »tödliche Schimosa-Aroma«, das die Kriegskorrespondenten so gern erwähnten.
    »Aber ja, genau«, murmelte Fandorin plötzlich.
    Er erhob sich rasch, orderte eine Kutsche und war eine Viertelstunde später bereits auf dem Polizeitelegrafenamt in der Maly-Gnesdikowski-Gasse. Dort diktierte er ein Telegramm, das den Mann, der es aufnahm und der in seinem Leben schon einiges gesehen hatte, ziemlich verblüffte.
    Fünfte Silbe,
welche fast gänzlich aus Tête-à-têtes
besteht
    Am Morgen des 25. Mai erhielt der Logiergast der Gräfin Bovada die Nachricht vom Eintreffen der Fracht und des Transports – beides am selben Tag, wie geplant. Die Organisation arbeitete präzise wie ein Uhrwerk.
    Die Fracht bestand aus vier anderthalb-Pud-Säcken Maismehl, das aus Lyon an die Moskauer Brotbäckerei »Werner und Pfleiderer«ging. Die Sendung erwartete den Empfänger in einem Lagerhaus des Moskauer Güterbahnhofs der Brester Eisenbahn. Hier war alles ganz einfach: Quittung vorlegen und unterschreiben. Die Säcke waren äußerst stabil – wasserfeste Jute. Sollte ein übereifriger Gendarm oder ein Eisenbahndieb zur Probe ein Loch hineinbohren, würde ein grobkörniges gelbes Pulver herausrinnen, das in Rußland, dem Land von Weizen und Roggen, problemlos als Maismehl durchgehen konnte.
    Schwieriger war es mit dem Transport. Auf Umwegen, von Neapel über Batum und dann per Bahn über Rostow, traf auf dem Rogoshsker Rangierbahnhof ein plombierter Waggon ein, der laut Papieren zur Direktion des Transportgeleitschutzes gehörte und von einem Unteroffizier und zwei Soldaten begleitet wurde. Die Wache war echt, die Papiere gefälscht. Das heißt, die Kisten enthielten tatsächlich, wie in den Begleitpapieren ausgewiesen, 8500 italienische Vetterli-Gewehre, 1500 belgische Francott-Revolver, eine Million Patronen und Dynamitkapseln, doch bestimmt war dieses

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