Diamantene Kutsche
ein Papier vor, quittierte den Empfang und verlud die Säcke eigenhändig in ein geschlossenes Fuhrwerk.
Die Beobachter klebten an ihren Ferngläsern.
»Offenbar ein Japaner«, murmelte Fandorin.
»Nicht doch!« widersprach Mylnikow und stellte sein Glas schärfer. »Eindeutig Russe, mit einem Schuß Tatarenblut, wie bei jedem echten Russen.«
»Japaner«, wiederholte Fandorin überzeugt. »Vielleicht mit einem Schuß europäischen Blutes, aber Augen und Nase … Ich habe ihn irgendwo schon mal gesehen. Aber wo und wann? Vielleicht hat er bloß Ähnlichkeit mit einem Japaner, den ich kenne. Japanische Gesichter sind nicht sehr vielfältig, die Anthropologen unterscheiden lediglich zwölf Grundtypen. Das m-macht die isolierte Insellage. Es gab keinen Zustrom von f-fremdstämmigem Blut …«
»Er fährt weg!« unterbrach Mylnikow Fandorins anthropologischen Vortrag. »Schnell!«
Doch Eile war jetzt unnötig. Für die Verfolgung durch die Stadt stand ein ganzer Fuhrpark an Kutschen und Droschken bereit, und in jeder saß ein Agent, so daß es für das Zielobjekt kein Entkommen gab.
Fandorin und der Hofrat sanken in die federnden Sitze der Kutsche am Ende dieser Karawane, die durchaus überzeugend lebhaften Verkehr imitierte, und rollten langsam durch die Straßen.
Häuser und Straßenlaternen waren mit Flaggen und Girlanden geschmückt. Moskau beging den Geburtstag der Zarin Alexandra Fjodorowna unvergleichlich prächtiger als in den Vorjahren. Das hatte einen besonderen Grund: Vor kurzem hatte die Herrscherin Rußland einen Thronfolger geschenkt – nach vier Mädchen, »vier Fehlschüssen«, wie Mylnikow sich respektlos ausdrückte.
»Aber der Junge soll krank sein und schwächlich.« Mylnikow seufzte. »Der Herr straft das Geschlecht der Romanows.«
Dieses Mal antwortete Fandorin erst gar nicht – er verzog nur das Gesicht ob der plumpen Provokation.
Indessen erwies sich das Zielobjekt als Zauberkünstler. Auf dem Güterbahnhof hatte er vier Säcke in sein geschlossenes Fuhrwerk geladen, bei der Gepäckaufbewahrung der Rjasan-Ural-Strecke aber deponierte er drei Holzkisten und acht kleine Päckchen in schwarzem, glänzendem Papier. Das Fuhrwerk schickte er fort. Die Agenten stoppten den Kutscher natürlich hinter der ersten Biegung,fanden aber nur vier leere Jutesäcke. Das Melinit war umgepackt worden.
Der Mann am Gepäckschalter sagte aus, Kisten und Päckchen seien getrennt aufgegeben und quittiert worden.
Doch das alles erfuhr Fandorin erst später. Da der mutmaßliche Japaner vom Bahnhof aus zu Fuß weitergegangen war, hatten Fandorin und Mylnikow die Überwachung erneut selbst übernommen.
Sie folgten dem Zielobjekt in maximaler Entfernung und schickten die Agenten in die Reserve. Der Köder, auf den womöglich noch ein Fisch anbeißen würde, durfte auf keinen Fall verschreckt werden.
Der Kommis suchte zwei Bahnhofshotels auf – das »Kasan« und das Eisenbahnhotel. Aus Vorsicht gingen die beiden Beobachter nicht hinein, dafür hätte die Zeit ohnehin nicht gereicht – das Objekt verließ beide Häuser nach höchstens einer Minute wieder.
Fandorin runzelte die Stirn – seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich: Die Rjasan-Ural-Strecke war Teil der transkontinentalen Magistrale, auf der er mit rotem Bleistift mindestens hundert wunde Punkte markiert hatte. War das auf dem Bahnhof deponierte Gepäck für einen davon gedacht?
Vom Bahnhof begab sich das Zielobjekt ins Zentrum und lief ziemlich lange in der Stadt herum. Mehrmals stieg es plötzlich in eine Droschke und ebenso unvermittelt mitten auf der Straße wieder aus, ohne jedoch seine mustergültige Beschattung abhängen zu können.
Kurz nach sieben Uhr abends betrat er eine Kutscherkneipe in der Nähe des Kalugaer Platzes. Da er sich zuvor eine geschlagene Stunde im Eingang des Nachbarhauses versteckt hatte, war anzunehmen, daß es sich hier um ein geplantes konspiratives Treffen handelte, und das durften Fandorin und Mylnikow sich keinesfalls entgehen lassen.
Kaum hatte das Objekt die Schenke betreten (es war neun Minuten nach sieben), rief Mylnikow mit einem Pfiff eine Verkleidungskutsche des Fliegenden Trupps herbei, eine äußerst bequemeEinrichtung der modernen Geheimpolizei. In der Kutsche lag eine Reihe von Kostümen und Verkleidungsutensilien für alle Gelegenheiten bereit.
Fandorin und der Hofrat verkleideten sich als Kutscher und betraten schwankend die Schenke.
Nachdem Mylnikow einen Blick in die Runde geworfen
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