Diamantenraub
Schritt«, kommandierte Frau Moos hastig, doch es war schon zu spät. Erna glitt im Zeitlupentempo vom Pferd hinunter und landete dennoch mit einem heftigen Plumps im Sand. »Au«, sagte sie leise. Die Tränen standen ihr in den Augen und beschlugen die Brillengläser von innen.
»Ach, Erna.« Frau Moos seufzte tief. »Meinst du nicht, es wäre besser, wenigstens ein bisschen reiten zu lernen, bevor du es mit dem Abzeichen versuchst? Ich möchte dir wirklich nicht den Mut nehmen, aber ich befürchte, dass du die Prüfung nicht bestehen wirst!«
»In Theorie ist sie sehr gut«, nahm Diane sie in Schutz. »Sie kann jede Frage beantworten.«
»Ja, das mag schon sein, aber das Reitabzeichen bekommt man nun mal nicht nur für theoretisches Wissen. Man muss es auch in die Praxis umsetzen können.«
Erna hatte sich mittlerweile wieder aufgerappelt. Umständlich klopfte sie den Staub von ihren zerbeulten Cordhosen und ging dann daran, wieder aufs Pferd zu klettern. Selbst das misslang ihr manchmal: Entweder sie kam gar nicht hinauf, oder aber sie nahm in einem Anflug von Verzweiflung zu viel Schwung, flog über den Pferderücken hinüber und auf der anderen Seite wieder hinunter.
»Du brauchst nicht mehr aufzusteigen«, sagte Frau Moos, die das Schlimmste befürchtete, »für heute machen wir Schluss.«
Alle zusammen verließen sie die Halle und sattelten ihre Pferde ab. Dann gingen sie zum Wohnhaus hinüber. Jede Minute war kostbar, denn bald sollte der theoretische Unterricht beginnen.
Diane blieb plötzlich stehen. »Ich habe meine Reitgerte in der Halle liegen lassen«, sagte sie, »geht ruhig schon mal vor, ich komme gleich.«
Angie und Pat nickten.
Im Stall war Ruhe eingekehrt. Die Pferde mampften genüsslich den wohlverdienten Hafer, und nur das malmende Geräusch ihrer Zähne war zu hören. Gleich angrenzend an die Stallungen lag die Reithalle. Diane schob das große Holztor zurück und hielt verwundert inne. Quer durch die Halle trabte Bessy. Auf ihrem Rücken saß Erna, die Hände in die Mähne verkrallt, mit starrem Gesicht und zusammengebissenen Zähnen. Diane zögerte einen Moment. Noch hatte die Reiterin sie nicht bemerkt. Leise schloss sie das Tor wieder. Warum um alles in der Welt dreht Erna da mutterseelenallein ihre Runden, überlegte sie, eigentlich wirkt sie doch immer sehr erleichtert, wenn die Reitstunden vorüber sind. Wer hätte gedacht, dass sie freiwillig ein Pferd besteigen würde? Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Wenn Erna nicht erwischt werden wollte, musste sie ihr Unternehmen bald beenden. Diane entschloss sich, hier zu warten. Wenn sie genau darüber nachdachte, hatte sie noch nie ein längeres Gespräch mit Erna geführt. Ihre starke Bindung an Kathrin hatte Erna zum Einzelgänger werden lassen. Sie hatte fast immer ein verschlossenes Gesicht und ernste Augen, sprach mit kaum jemandem und beantwortete alle Fragen nur mit knapper Höflichkeit. Wenn die anderen lachten, lachte sie nie mit, und sie nahm keinen Anteil, wenn man sich über diese oder jene Lehrerin ärgerte. Abends zog sie sich zeitig in ihr Zimmer zurück. Dort las oder lernte sie, und pünktlich um neun Uhr wurde das Licht ausgeknipst. Wenn Diane über Ernas stille Isolation nachdachte, bekam sie ein schlechtes Gewissen. Vielleicht hätten wir uns mehr um sie bemühen sollen, überlegte sie, nie hätte man ihr zugetraut, dass sie ein Verbot übertreten und heimlich reiten würde.
Diane wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Erna, ihr Pferd am Zügel, die Stallgasse betrat. Einen Moment lang starrten sich die Mädchen schweigend an. Hätte Erna eine Fluchtmöglichkeit gehabt, so wäre sie sicherlich davongelaufen. Doch es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich geschlagen zu geben. Diane fühlte sich höchst unbehaglich. Warum hatte sie sich nicht still zurückgezogen? Streng genommen ging es sie nichts an, wer welche Verbote übertrat. Sie hatte sich vorgenommen, der Mitschülerin zu helfen, aber jetzt, da sie ihr gegenüberstand, fiel ihr kein einziges Wort ein.
Erna räusperte sich. »Würdest du bitte aus dem Weg gehen, damit ich mein Pferd wegführen kann?«, fragte sie höflich.
»Ja, äh, natürlich«, erwiderte Diane verwirrt und trat beiseite. Sie folgte Erna bis zu Bessys Box und beobachtete, wie das Mädchen mit fliegenden Fingern daranging, Sattel und Trense wegzuräumen. Sie schien nervöser zu sein, als sie zugeben wollte.
»Trainierst du öfter so ganz allein?«, fragte Diane, um das
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