Diamantenraub
allem fähig.«
»Vielleicht ist sie das«, erwiderte Erna bestimmt, »aber eines habt ihr bei euren Verdächtigungen vergessen: Kathrin ist mindestens ebenso unsportlich wie ich. Angenommen, sie war wirklich bei Fairytale, habt ihr dann mal nachgerechnet, in welcher Zeit sie den Weg zum Dorf gelaufen sein muss? Angie und Pat haben nur fünf Minuten später den Hof verlassen, und obwohl sie zu Pferd waren, konnten sie Kathrin nicht einholen.«
Erna hatte recht, selbst in größter Panik hätte Kathrin die Strecke nicht so schnell bewältigen können. Das bedeutete, dass sie schon viel früher aufgebrochen sein musste. »Wer, um alles in der Welt, war aber dann im Stall?«, fragte Diane. »Und warum ist Kathrin davongelaufen?«
Erna zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Sie wollte auch mit mir nicht darüber sprechen und hatte Angst, Frau Andresen könnte sie immer wieder danach fragen.«
Das war alles sehr seltsam. Doch Diane hatte nun das Gefühl, dass Erna die Wahrheit sprach. Außerdem schien das Argument, dass Kathrin den Weg niemals so schnell hätte zurücklegen können, ganz und gar überzeugend. Sie hatten nicht richtig nachgedacht. Es war so einfach gewesen, das unbeliebte Mädchen zu verdächtigen. Obwohl Diane am liebsten gleich zu ihren Freunden gelaufen und ihnen alles erzählt hätte, blieb sie stehen. Sie spürte, dass Erna langsam Vertrauen fasste und dass sie ihr helfen musste.
»Warum liegt dir so viel daran, außerhalb des Reitunterrichtes zu trainieren?«, fragte sie etwas unbeholfen. »Ist denn das Abzeichen so wichtig für dich?«
Erna zögerte einen Augenblick, dann antwortete sie leise: »Ja, es ist wichtig, mein Vater verlangt es.«
»Hat er dich deshalb hierhergeschickt?« Diane konnte sich so etwas kaum vorstellen, doch Erna nickte.
»Mein Vater war früher ein sehr guter Reiter«, begann sie, und ihre Augen leuchteten. »Er hatte fünf Pferde, die alle wunderschön waren. Wann immer er sie auf Turnieren vorstellte, kam er mit Urkunden und Siegerschleifen nach Hause. Dann heiratete er meine Mutter, und als ich dann zur Welt kam, meinte er richtig arbeiten zu müssen. Bis auf eines verkaufte er alle seine Pferde. Fortan steckte er seinen gesamten Ehrgeiz in mich: Immer wieder erzählte er mir, wie schön das Reiten sei und dass ich eines Tages in seine Fußstapfen treten sollte. Manchmal nahm er mich mit, wenn er zu seinem Pferd fuhr, und ich schaute ihm dann zu. Mutter blieb immer zu Hause. Es waren die schönsten Stunden meines Lebens, wenn ich ihn ganz allein für mich hatte. ›Wir sind ein Team‹, sagte er immer, und ich glaubte ihm.« Erna hielt einen Moment inne, ehe sie leise weitersprach. »Dann kam meine erste Reitstunde. Ich weiß nicht, woran es lag, aber auf einmal hatte ich Angst. Das Pferd war so groß, und bei jeder Bewegung glaubte ich hinunterzufallen. Mein Vater stand am Rande und schaute mir zu. Er dachte wohl, dass ich gleich traben und galoppieren würde, doch ich konnte es nicht. Ich hatte panische Angst. So drehte ich eine Runde nach der anderen in Schritt und hoffte, alles werde bald vorüber sein. Irgendwann war tatsächlich Schluss, und ich rutschte erleichtert aus dem Sattel. Ich bemerkte gleich, dass sich etwas zwischen meinem Vater und mir verändert hatte. Ohne ein Wort zu sagen, stieg er ins Auto und fuhr mit mir davon. Ich wünschte, er würde schimpfen, mir Vorwürfe machen, sagen, dass ich ein Feigling sei, doch nichts dergleichen geschah. Er wirkte nur maßlos enttäuscht. Zu seinen Pferdebesuchen nahm er mich nicht mehr mit, auch das Thema ›Reitstunden‹ erwähnte er nicht mehr. Fünf Jahre später, an meinem zwölften Geburtstag, wollte ich noch einmal mit dem Reitunterricht anfangen. Nicht, dass ich meine Angst verloren hätte! Im Gegenteil: Die Abneigung gegenüber Pferden war nur noch gewachsen. Doch ich wollte, dass mein Vater stolz auf mich sein kann. Zunächst allerdings war er gar nicht einverstanden, vermutlich glaubte er, das ganze Drama werde sich wiederholen. Als ich nicht locker ließ, gab er schließlich nach.«
»Hat er dich dann wieder begleitet?«, unterbrach Diane.
Erna schüttelte den Kopf. »Nein, er meldete mich in einem ganz anderen Reitverein an und ließ sich dort niemals blicken. So konnte ich ihm alles Mögliche erzählen: dass ich die Beste im Unterricht sei, große Fortschritte machte und durch und durch ein Pferdenarr sei. Langsam begann er sich wieder für mich zu interessieren. Ich war
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