Diamantenschmaus
Leichen, in
Verbindung mit zusätzlich spezifizierenden Suchworten wie Kammersänger,
Clownskopf oder Prater blieb die Ausbeute jedoch absolut unbefriedigend.
Etwas interessanter erwies sich da die Suche im Internet.
Florian war klar, dass auch jeder vernünftigen Erklärung scheinbar
widersprechende Ereignisse wie verschwundene Leichen nun einmal vorkamen.
Einfach deswegen, weil es doch Erklärungen dafür gab. Erklärungen, die wegen
ihrer ganz speziellen, komplexen Art für den nur oberflächlichen Betrachter
allerdings nicht oder nur schwer erkennbar waren.
Dass sich aber allein in den letzten acht Monaten
23 Fälle von verschwundenen Leichen sehr bekannter, ja prominenter
Zeitgenossen unter ähnlichen Umständen zugetragen hatten, erschien Florian hingegen
extrem bemerkenswert. Allein sieben dieser Fälle hatten sich im Bereich der
Europäischen Union abgespielt und neun in Nordamerika. Der Rest verteilte sich
etwa gleichmäßig auf die anderen Kontinente.
In 19 Fällen war die Leiche vor dem Begräbnis verschwunden,
nur in vier Fällen wurde der Sarg nach der Beerdigung wieder ausgegraben und
geleert.
Aber nicht nur Leichen waren aus mysteriösen Gründen ihrem
ultimativen Schicksal entzogen worden.
Nein, im letzten Jahr waren zudem 33 Urnen mit der Asche zumindest
regional sehr bekannter Persönlichkeiten, vor allem Künstler, Sportler und
Wissenschaftler, aus ihrem bisherigen Umfeld verschwunden.
Die wirklich eindrucksvolle Gemeinsamkeit zwischen den
verschwundenen Leichen und Urnen war, dass trotz intensiver Bemühungen der
Polizei nicht eine einzige davon wieder aufgetaucht war.
Hoppala, das stimmte so nicht ganz, korrigierte sich Florian.
Vier Särge und sieben Urnen waren gefunden worden – in völlig leerem Zustand.
Welches Interesse konnte jemand an sterblichen Überresten
haben? Im Ganzen kremiert, ja überhaupt. Gab es möglicherweise gar Menschen,
Palinskis Assistent bekam allein beim Gedanken an diese Möglichkeit eine
Gänsehaut, die krank genug waren, das, was von diesen Prominenten geblieben
war, zu sammeln wie andere Briefmarken oder Gemälde?
Bekamen sie etwa ihren Kick beim Anblick des
Skeletts eines Sportidols, der Asche einer Schauspielerin oder gar eines munter
vor sich hin modernden Kammersängers? Na, vielleicht wurde der Leichnam des
Tenors ja auch ausgestopft.
Daneben musste es, abgesehen von Wahnsinnigen, die
sich so etwas zum vertraulichen Delektieren ins geheime Kellerstübchen
stellten, eine Organisation geben, die das Ganze einfädelte und abwickelte, und
die dafür sorgte, dass es für das Angebot ›Gut erhaltene, fast neuwertige
Kammersänger-Leiche, garantiert Weltstar in den besten Jahren im Mahagonisarg‹
auch eine entsprechende Nachfrage gab. Diese musste eigentlich bereits vor der
Beschaffung des nachgefragten Gutes vorhanden sein. Man konnte ja wohl schlecht
mit dem Sarg hinten im Pick-up durchs Land fahren und für sein Sonderangebot
werben.
Wie das wohl in der Praxis ablief? Florian hatte
zwar keine Ahnung, aber ein ungutes Gefühl.
Was würde wohl sein, wenn er gleich noch ›Urnenraub‹ in die
Suchmaschine eingab? Und ›Aschendiebstahl‹, oder wie sollte man diesen
seltsamen Vorgang sonst nennen? Ja, und ›Diamanten‹ durfte er ebenfalls nicht
vergessen.
Na, am besten, er versuchte einfach eines nach dem anderen,
dann würde er schon sehen.
*
Das war die schlimmste Nacht gewesen, die Helene
Brandl in ihrem immerhin schon 55 Jahre andauernden Leben hinter sich hatte
bringen müssen. Diese endlos wirkenden neun Stunden mit drei weiteren Leuten in
einer Zelle, die von einer einzigen, traurig von der Decke herunterbaumelnden
40-Watt-Birne in ewiges Zwielicht getaucht worden war. Diese Kulisse aus nicht
immer zufälligen Rülpsern, Furzen und sonstigen ekligen Geräuschen hatten der
Vizepräsidentin des VSPR mehr zu schaffen gemacht als die weit mehr als
schmerzlich genug empfundene Freiheitsberaubung. Als krönender Höhepunkt war da
noch diese einmalige Melange aus Schweiß, Urin und diversen Körpergasen
gewesen, die über all dem lastete.
Der klassisch gebildeten Helene schien der Vergleich ihrer
Situation in Polizeiarrest mit der Dantes in einem der Höllenkreise des
Infernos durchaus angebracht, obwohl sie ›Die Göttliche Komödie‹ eigentlich nie
ganz gelesen hatte. Wenn sie ehrlich war, kannte sie lediglich eine gut
strukturierte Zusammenfassung, die jedoch durchaus ausreichte, um mitreden zu
können. Wann immer über das Thema
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