Diamantenschmaus
was wo gebrauchen konnte.
*
Wilma saß in einer Besprechung mit einigen
Kollegen des gymnasialen Lehrkörpers in der Klostergasse. Es fiel ihr schwer,
sich auf die Lösung des Problems ›Provisorische Vertretungsregelung aus Anlass
massiver grippebedingter Absenzen‹, das Gegenstand dieses Treffens war, zu
konzentrieren.
Mein Gott, dachte Wilma, die Angelika, das war Magistra
Berenitz, ihre Administratorin, verstand es wirklich immer wieder, die Trostlosigkeit
dieser Art Veranstaltung durch besonders sperrige Umschreibungen des zur
Diskussion stehenden Themas und die daraus resultierende Langeweile bereits in
der Einladung zum Ausdruck zu bringen.
Aber was sollte diese leichte Wehleidigkeit, als Direktorin
der Schule zählte es nun einmal zu Wilmas Pflichten, solche Meetings bei Bedarf
einzuberufen und ihnen vorzusitzen.
Abgesehen davon war sie heute so überhaupt nicht
bei der Sache. In Gedanken lief der gestrige Abend nochmals vor ihrem geistigen
Auge ab.
Da war vor allem diese wirklich einmalige
Opernpremiere, die durch das erste gemeinsame und sensationelle Auftreten der
Newcomerin Eva Patschenkov in der Titelrolle und des ungekrönten Wiener
Tenorlieblings Ernesto di Mandrisio einen zusätzlichen Höhepunkt erfahren
hatte.
Spontaner Szenenapplaus sowie 17, ja, 17 Vorhänge nach Beendigung der Aufführung hatten Wilma das Gefühl vermittelt,
Zeugin eines musikhistorischen Ereignisses gewesen zu sein.
»… Katzbacher in der vierten Stunde in die 6b zu schicken?«
Erwartungsvoll blickte Kollege Hernsberger, der die Frage formuliert hatte,
seine Chefin an.
Die reagierte aber nicht. Kein Wunder, war sie in Gedanken
doch noch beim 14. Vorhang. Erst nachdem der Englisch und Turnen unterrichtende
Pädagoge zweimal gehüstelt hatte, merkte Wilma, dass man irgendetwas von ihr
erwartete.
»Ja, ja, machen Sie das ruhig so«, meinte sie automatisch und
in der sicheren Erwartung, den ihr unbekannten Gegenstand ihrer Zustimmung
später im Sitzungsprotokoll nachlesen zu können. Auf Angelika war Verlass in
diesen Dingen.
Dann die Premierenfeier in der Kantine der Oper.
Also, wenn das eine typische Kantine gewesen war, so wollte
sie den gastronomischen Rest ihres Lebens nur mehr in Kantinen verbringen.
Erstklassige Qualität und geschmackvolle Ausstattung in Kombination mit einem
Hauch unsterblicher Kultur an allen Ecken und Enden, was für eine Atmosphäre.
Schließlich hatte ihr Mandrisio persönlich die Hand geküsst
und angeboten: »Saggene Sie docke Ernesto to me, gnädicke, eh Signora.«
Den tiefen Blick aus seinen blauen in ihre braunen Augen, der
diesem Angebot gefolgt war, würde sie nie im Leben vergessen.
Unvergesslich würde ihr, trotz des leicht schlechten
Gewissens danach, auch das Abschiedsbussi Olivers bleiben. Die sanfte Berührung
seiner geschlossenen Lippen auf ihrem Ohr hatte ihr eine Gänsehaut über den
Rücken laufen lassen.
Wenn sie ganz ehrlich war, hatte sie eigentlich mit einer
etwas anderen Verabschiedung gerechnet und wahrscheinlich auch erwartet. Ja,
sie war sogar ein wenig enttäuscht gewesen.
Bei Tageslicht betrachtet war Wilma froh, dass Oliver die
Situation nicht ausgenützt hatte. Was war eigentlich in sie gefahren? War das
Vierteljahrhundert mit Mario plötzlich nichts mehr wert? Ihrem Mario, der
gestern wieder einmal eine seiner Heldennummern abgezogen hatte. Diesmal im
Finanzamt, wie sie aus den Nachrichten vernommen hatte.
Waren es die paar romantischen Stunden in der
Oper, mit einem jungen Mann, der ihr Sohn sein könnte, fast zumindest, wirklich
wert, ihr bisheriges Leben über Bord zu werfen, ihr Familienglück aufs Spiel zu
setzen?
Sie musste diese Affäre unbedingt beenden, bevor
sie richtig anfing. Wilma nahm sich ganz fest vor, noch heute …
»… die Neue in die Klasse von Iris geben, bis
Kollege Maroltinger von der Schulung zurück ist. Ich glaube, das wäre am
einfachsten.«
Beifall heischend sah Professorin Marthe Lene, eine Samin mit
deutscher Mutter, jawohl, so etwas gab es nur in Wien, außer noch in Lappland
vielleicht, ihre Direktorin an, die das wieder nicht richtig mitbekommen hatte,
aber dennoch automatisch routinemäßige Zustimmung signalisierte.
Wozu hatte sie mit Magistra Berenitz so eine zuverlässige
Protokollführerin.
*
»Wir müssen los«, ermahnte Hubsi seine Komplizin
Carmen, »wenn wir um 13 Uhr in der Tiefgarage am Schwedenplatz sein wollen. Bei
dem Verkehr brauchen wir mindestens 45 Minuten. Außerdem sollten
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