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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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zu leuchten, als Hackworth diesen Tunnel betrat.
    Wäre die Frau nicht vor ihm hier durchgegangen, hätte er spätestens jetzt kehrtgemacht und gedacht, daß er in eine Sackgasse geraten sei, einen defekten Tunnel, der sich nicht richtig ausgedehnt hatte. Das Trommeln drang jetzt von allen Seiten in seine Ohren und seine Knochen. Er konnte überhaupt nichts erkennen, vermeinte aber, ab und zu einen flackernden gelben Schimmer zu sehen. Der Tunnel schwankte leicht in den starken Strömungen, den bitterkalten Wasserläufen, die den Boden der Meerenge umspülten. Wenn er seinen Gedanken freien Lauf ließ und sich sagte, daß er sich tief unter der Meeresoberfläche befand, mußte er stehenbleiben und sich zwingen, nicht in Panik zu geraten. Sich auf den angenehmen luftgefüllten Tunnel konzentrieren, und nicht auf das, was ihn umgab.
    Vor sich nahm er eindeutig Licht wahr. Er kam in eine Wölbung des Tunnels, gerade so hoch, daß er sich setzen konnte, und rollte sich einen Moment auf den Rücken, um auszuruhen. Hier brannte eine Lampe, eine Schale, die mit schmelzendem Kohlenwasserstoff gefüllt war, der weder Asche noch Rauch erzeugte. Die Mediatronwände zeigten animierte Szenen, die man im flackernden Licht gerade eben erkennen konnte: Tiere, die im Wald tanzten.
    Er kroch eine Zeitspanne, die ihm lange vorkam, sich aber unmöglich näher bestimmen ließ, durch den Tunnel. Von Zeit zu Zeit gelangte er in eine Kammer mit einer Lampe und weiteren Gemälden. Während er durch die langen, pechschwarzen Tunnel kroch, erlebte er Sicht- und Lauthalluzinationen, zuerst undeutlich, nur willkürliche Geräusche, die durch das Netz seines Nervensystems geisterten, aber zunehmend ausgeprägter und realistischer. Die Halluzinationen hatten eine traumähnliche Atmosphäre; in alles, was er kürzlich erst gesehen hatte, zum Beispiel Gwen und Fiona, Dr. X, das Luftschiff, die Jungs beim Ballspiel, mischten sich so fremdartige Bilder, daß er sie kaum erkannte. Es beunruhigte ihn, daß sein Verstand etwas aufgriff, das ihm so sehr am Herzen lag wie Fiona, und in ein Tohuwabohu fremder Anblicke und Vorstellungen einblendete.
    Er konnte die Nanositen in seiner Haut sehen. Aber es war denkbar, daß in seinem Gehirn noch eine Million mehr lebten, huckepack auf Neuriten und Dendriten ritten und einander Daten in Form von Lichtblitzen übermittelten. Ein zweites Gehirn zwischen den Schichten seines eigenen.
    Es gab keinen Grund, daß Informationen nicht von einem derartigen Nanositen zu einem anderen übertragen werden konnten, durch seinen ganzen Körper und zu den Nanositen in seiner Haut, und von dort durch die Dunkelheit zu anderen. Was würde geschehen, wenn er sich anderen Menschen mit einem ähnlichen Befall näherte?
    Als er schließlich die große Halle erreichte, konnte er nicht sagen, ob es Wirklichkeit oder wieder eine von Maschinen erzeugte Halluzination war. Die Halle war wie eine flachgedrückte Eistüte geformt, ein Kuppeldach über einem sanft geneigten konischen Boden. Die Decke bestand aus einem riesigen Mediatron, der Boden diente als Amphitheater. Hackworth purzelte unvermittelt in den Raum, als die Trommelklänge ein Crescendo erreichten. Der Boden war glatt, daher rutschte er hilflos hinunter, bis er die zentrale Grube erreicht hatte. Er drehte sich auf den Rücken und sah eine feurige Szene über sich, die die gesamte Kuppel über ihm beanspruchte, und aus den Augenwinkeln, auf dem Boden des Theaters, tausend lebende Sternbilder, die mit den Händen auf den Boden schlugen.
     

Der Geschichte zweiter Teil
     
    Die Barbaren, die in fremden Regionen außerhalb geboren und erzogen wurden, können so vieles in der Verwaltung der Himmlischen Dynastie nicht verstehen, und sie setzen ununterbrochen erzwungene Konstruktionen auf Dinge, deren wahre Natur man ihnen nur schwer erklären kann.
    -
Olymp
     

Hackworth hat ein einmaliges Erlebnis;
das Ritual der Trommler.
    In einem höhlenartigen dunklen Raum steht eine junge Frau, kaum mehr als ein Mädchen, nackt auf einem Podest, abgesehen von umfangreicher Bemalung, bei der es sich möglicherweise auch um mediatronische Tätowierungen am ganzen Körper handeln könnte. Eine Krone aus sukkulenten Blättern ist um ihren Kopf gewunden, und ihr kräftiges, dichtes Haar reicht bis zu den Knien herab. Sie drückt einen Rosenstrauß an die Brust, dessen Dornen sich in ihre Haut bohren. Viele Menschen, womöglich Tausende, umringen sie, trommeln wie besessen und singen manchmal

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