Diamond Age - Die Grenzwelt
einzuwenden. Von diesem Tage an hielt er nach Schwarzen mit denselben unsicheren Gesichtern Ausschau. Diese Leute kauften und verkauften unter der Hand, daher hatten sie immer hartes Geld bei sich. Ein paar Monate kam er so ganz gut über die Runden. In regelmäßigen Abständen schaute er in der Wohnung vorbei, wo seine Schlampe Tequila hauste, gab ihr Reizwäsche und vielleicht Harv Schokolade.
Bud und Tequila gingen beide davon aus, daß Harv Buds Sohn war. Er war fünf, was bedeutete, daß er in einem weitaus früheren Zyklus von Buds und Tequilas Achterbahn-Beziehung gezeugt worden war. Jetzt war die Schlampe wieder schwanger, was bedeutete, daß Bud noch mehr Geschenke mitbringen mußte, wenn er zu Besuch kam. Väterliche Verpflichtungen!
Eines Tages nahm sich Bud eine besonders gutgekleidete Familie eben wegen ihrer schicken Klamotten vor. Der Mann trug einen Anzug, die Frau ein hübsches, sauberes Kleid, ihr Baby war ganz in weißes Spitzenzeug gehüllt, und sie hatten einen Träger angeheuert, der ihnen half, ihr Gepäck vom Aerodrom abzutransportieren. Bei dem Träger handelte es sich um einen Weißen, der Bud ein wenig an sich selbst erinnerte, weshalb er es als persönlichen Affront empfand, den Mann als Packesel für Schwarze fungieren zu sehen. Kaum hatten die Leute den Trubel des Aerodroms hinter sich gelassen und eine ruhigere Gegend erreicht, näherte sich Bud ihnen stolzierend, wie er es im Spiegel geübt hatte, und schob dabei das Visier ab und zu mit dem Zeigefinger die Nase hinauf.
Der Typ im Anzug unterschied sich von allen anderen. Er tat gar nicht erst so, als hätte er Bud nicht gesehen, versuchte nicht, sich aus dem Staub zu machen, duckte sich nicht und kauerte sich nicht zusammen, sondern stand einfach nur mit leicht gespreizten Beinen da und sagte ausgesprochen liebenswürdig: »Ja, Sir, kann ich Ihnen helfen?« Er redete nicht wie ein amerikanischer Schwarzer, mehr mit einem britischen Akzent, nur abgehackter. Bud, der näher gekommen war, konnte jetzt erkennen, daß der Mann einen bunten Stoffstreifen um den Hals und über die Aufschläge gelegt hatte, den er wie einen Schal herunterhängen ließ. Der Fremde sah gepflegt und wohlgenährt aus, abgesehen von einer kleinen Narbe am Wangenknochen.
Bud ging weiter, bis er ein wenig zu dicht bei dem Typen war. Er hielt den Kopf bis zum letzten Augenblick nach hinten gelegt, als wäre er total gut drauf und würde sich laute Musik anhören (was auch stimmte), bis er den Kopf plötzlich nach vorne neigte und dem Kerl direkt ins Gesicht sah. Das war auch eine Möglichkeit, darauf hinzuweisen, daß er bewaffnet war, und wirkte normalerweise Wunder. Aber der Typ reagierte nicht mit dem leichten Zusammenzucken, das Bud erwartete und genoß. Vielleicht kam er aus irgendeinem Hottentottenland, wo sie nichts von Schädelkanonen wußten.
»Sir«, sagte der Mann, »meine Familie und ich sind auf dem Weg zu unserem Hotel. Wir haben eine lange Reise hinter uns und sind müde; meine Tochter leidet an einer Mittelohrentzündung. Wenn Sie Ihr Anliegen so präzise wie möglich vortragen würden, wäre ich Ihnen über die Maßen verbunden.«
»Sie quatschen wie ein Scheiß-Vicky«, sagte Bud.
»Sir, ich bin nicht das, was Sie einen Vicky zu nennen belieben, denn in diesem Falle hätte ich mich direkt dorthin begeben. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich in Gegenwart meiner Frau und meines Kindes einer anständigen Ausdrucksweise befleißigen würden.«
Bud brauchte eine Weile, bis er diesen Satz entschlüsselt hatte, und etwas länger, bis ihm aufging, daß den Mann tatsächlich ein paar unanständige Wörter in Hörweite seiner Familie störten, und noch länger, bis er glauben konnte, daß er sich gegenüber Bud, einem muskelbepackten Kerl, der eindeutig mit einer Schädelkanone bewaffnet war, diese Frechheit herausgenommen hatte.
»Ich werd zu Ihrer Scheiß-Schlampe und Ihrem Scheiß-Balg sagen, was ich will, verdammte Scheiße«, sagte Bud sehr laut. Dann konnte er nicht anders, er mußte grinsen. Eins zu null für Bud!
Der Mann sah eher ungeduldig als eingeschüchtert aus und gab einen Stoßseufzer von sich. »Ist das ein bewaffneter Überfall, oder so? Wissen Sie auch ganz sicher, worauf Sie sich da eingelassen haben?«
Bud antwortete darauf mit einem gehauchten »Los« und feuerte dem Mann einen Krüppler in den rechten Bizeps. Das Projektil drang tief in den Muskel ein wie eine M-80, riß ein dunkles Loch in den Ärmel der Jacke des
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