Diamond Age - Die Grenzwelt
Butzenscheiben ringsum Ausblick boten, hatte Nell sämtliche Bücher untergebracht, die sie im Lauf ihrer Suche gefunden hatte: Bücher, die Purpur ihr geschenkt hatte; Bücher aus der Bibliothek von König Elster, dem ersten Feenkönig, den sie besiegt hatte; Bücher aus dem Palast des Dschinns und aus Schloß Turing und vielen anderen verborgenen Bibliotheken, die sie auf ihrem Weg entdeckt oder erbeutet hatte. Und selbstverständlich besaß sie die gesamte Bibliothek von König Kojote, die so viele Bücher enthielt, daß sie noch keine Zeit gehabt hatte, sich alle anzusehen.
Es gab so viel zu tun. Für sämtliche Mädchen der Entzauberten Armee mußten Kopien dieser Bücher angefertigt werden. Das Land Jenseits war verschwunden, und Prinzessin Nell wollte es neu erschaffen. Sie wollte ihre eigene Geschichte in einem umfangreichen Buch niederschreiben, das junge Mädchen lesen konnten. Und ihr blieb eine letzte Suche, an die sie in letzter Zeit, während der langen Überfahrt über das weite Meer zur Insel des Dunklen Schlosses, häufig gedacht hatte: Sie wollte das Rätsel ihrer eigenen Herkunft lösen. Sie wollte ihre Mutter finden. Auch nach der Zerstörung des Landes Jenseits spürte sie die Gegenwart von jemand anderem auf der Welt, der immer da gewesen war. König Kojote selbst hatte es ihr bestätigt. Vor langer Zeit hatte ihr Stiefvater, der gütige Fischer, sie von Meerjungfrauen bekommen; aber woher hatten die Meerjungfrauen sie bekommen?
Sie vermutete, daß sie die Lösung nicht ohne das in ihrer Bibliothek aufbewahrte Wissen finden konnte. Sie fing damit an, daß sie einen Katalog erstellte, angefangen mit den ersten Büchern, die sie im Verlauf der frühesten Abenteuer mit ihren Freunden der Nacht bekommen hatte. Gleichzeitig richtete sie im großen Saal eine Schreibstube ein, wo Tausende Mädchen an langen Tischen saßen und exakte Kopien aller Bücher herstellten.
Die meisten Bücher von König Kojote handelten von den Geheimnissen der Atome und wie man sie zusammenfügte, um Maschinen zu machen. Selbstverständlich waren es alles Zauberbücher; die Bilder bewegten sich, und man konnte ihnen Fragen stellen und bekam Antworten. Manche waren Fibeln und Lehrbücher für Anfänger, und Prinzessin Nell verwendete ein paar Tage darauf, diese Kunst zu studieren, indem sie Atome zu einfachen Maschinen zusammensetzte und zusah, wie sie arbeiteten.
Danach kam ein mehrbändiges Werk mit einheitlich gestalteten Einbänden, bei denen es sich um Musterbücher handelte: eines enthielt Tausende von Entwürfen für Ärmelansätze, ein anderes für Computer aus Stäben; wieder ein anderes für Energiespeicher, und alle waren raktiv, so daß sie sie benutzen konnte, um alles nach ihren eigenen Wünschen zu entwerfen. Danach folgten weitere Bücher über das allgemeine Prinzip, wie man solche Mechanismen zu ganzen Systemen zusammenfügte.
Schließlich enthielt die Bibliothek von König Kojote ein paar Bücher in des Königs eigener Handschrift, die Entwürfe für seine größten Meisterwerke enthielten. Von diesen beiden waren die besten das Buch des Buches und das Buch der Saat. Es handelte sich dabei um prachtvolle Folianten, so dick, wie die Hand von Prinzessin Nell breit war, in echtes Leder eingebunden, in dem haarfeine vergoldete Linien ein komplexes Muster bildeten, und mit schweren Messingbeschlägen und Schlössern verschlossen.
Das Schloß am Buch des Buches ließ sich mit demselben Schlüssel öffnen, den Prinzessin Nell von König Kojote bekommen hatte. Das hatte sie schon früh bei ihrer Erforschung der Bibliothek herausgefunden, aber sie konnte den Inhalt dieses Bandes erst verstehen, nachdem sie die anderen studiert und die Geheimnisse ihrer Maschinen verstanden hatte. Das Buch des Buches enthielt einen vollständigen Satz Pläne für Zauberbücher, die jungen Menschen Geschichten erzählen konnten, die auf die Bedürfnisse und Interessen des jeweiligen Kindes zugeschnitten wurden – falls erforderlich konnte ihnen sogar das Lesen beigebracht werden. Es war eine furchteinflößend komplizierte Arbeit, und Prinzessin Nell überflog sie zuerst nur flüchtig, weil ihr klarwurde, daß sie die Einzelheiten nur nach jahrelangem Studium begreifen würde.
Das Schloß am Buch der Saat ließ sich nicht mit dem Schlüssel von König Kojote öffnen, auch mit keinem der anderen, die sich im Besitz von Prinzessin Nell befanden, und da dieses Buch Atom für Atom gebaut worden war, war es fester als jede
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