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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Licht zu sehen. Ich werde auf dem Rückweg nach Shanghai über diese Fragen nachdenken.«
    Dr. X begleitete ihn auf den Parkplatz des McDonald's. Zuerst war die Hitze angenehm wie ein entspannendes Bad, aber Hackworth wußte, bald würde ihm zumute sein, als würde er darin ertrinken. Kidnapper trottete herbei, knickte die Beine ein und ermöglichte Hackworth, mühelos aufzusteigen.
    »Sie haben uns zehn Jahre lang bereitwillig geholfen«, sagte Dr. X. »Es ist Ihre Bestimmung, die Saat zu entwickeln.«
    »Unsinn«, sagte Hackworth. »Ich kannte die Natur des Projekts überhaupt nicht.
    Dr. X lächelte. »Sie kannten sie ganz genau.« Er befreite eine Hand aus den weiten Ärmeln seines Gewands und drohte Hackworth mit dem Finger wie ein gönnerhafter Lehrer, der so tut, als würde er einen begabten, aber mutwilligen Schüler maßregeln. »Sie machen das alles nicht, um Ihrer Königin zu dienen, sondern Ihrem eigenen Charakter, John Hackworth, und ich kenne Ihren Charakter. Ihre Klugheit ist Ihnen Selbstzweck, und wenn Sie einen klugen Weg gefunden haben, um etwas zu machen, dann müssen Sie es tun, so wie Wasser einen Riß im Damm findet und hindurch muß, um das Land auf der anderen Seite zu überfluten.«
    »Leben Sie wohl, Dr. X«, sagte Hackworth. »Sie werden verstehen, daß ich Ihnen nicht aufrichtig alles Gute für Ihr derzeitiges Unterfangen wünschen kann, wiewohl ich Sie persönlich meiner höchsten Wertschätzung versichere.« Er zog den Hut und verneigte sich tief auf eine Seite, was Kidnapper zwang, seine Haltung ein wenig zu korrigieren. Dr. X erwiderte die Verbeugung und ließ Hackworth noch einmal den Korallenknopf an seiner Mütze sehen. Hackworth gab Kidnapper die Sporen und machte sich auf den Weg nach Shanghai.
     
    Er schlug eine nördlichere Route auf einem der zahlreichen radialen Highways ein, die auf die Metropole zuführten. Als er schon einige Zeit geritten war, bemerkte er ein Geräusch, das ihm unterschwellig schon eine ganze Weile aufgefallen war: einen lauten, fernen und schnellen Trommelschlag, etwa doppelt so schnell wie der Schlag seines eigenen Herzens. Selbstverständlich dachte er als erstes an die Trommler, und er war versucht, in einen der nahe gelegenen Kanäle zu schauen, um festzustellen, ob ihre Kolonie sich so weit ins Landesinnere ausgedehnt hatte. Aber dann sah er einige Meilen nordwärts über das flache Land und erblickte eine gewaltige Prozession, die sich auf einem anderen Highway bewegte, ein dunkler Zug von Fußgängern, die nach Shanghai marschierten.
    Er sah, daß sein Weg sich mit ihrem kreuzte, daher gab er Kidnapper die Sporen und hoffte, daß er die Kreuzung erreichte, bevor sie von dieser Flüchtlingskolonne versperrt wurde. Kidnapper eilte ihnen mühelos davon, doch es half nichts; als Hackworth die Kreuzung erreichte, stellte er fest, daß sie sich bereits in den Händen einer Vorhut befand, die die Kreuzung abgesperrt hatte und ihn nicht passieren ließ.
    Das Kontingent, das die Kreuzung beherrschte, bestand ausschließlich aus Mädchen, manche gerade elf oder zwölf Jahre alt. Es waren einige Dutzend, die den Posten offenbar gewaltsam von einer Gruppe der Fäuste übernommen hatten, deren Mitglieder man, mit Plastikband gefesselt, im Schatten einiger Maulbeerbäume liegen sehen konnte. Etwa drei Viertel der Mädchen, die überwiegend mit gespitzten Bambusstäben bewaffnet waren, obwohl man vereinzelt auch Gewehre und Säbel sehen konnte, standen Wache. Das restliche Viertel machte Pause; diese Mädchen saßen abseits der Kreuzung im Gras, tranken frisch abgekochtes Wasser und lasen konzentriert in Büchern. Hackworth kannte die Bücher; sie waren alle identisch und hatten alle einen marmorierten Jadeeinband, waren allerdings im Lauf der Jahre mit verschiedenen Aufklebern, Graffiti und anderem Zierat geschmückt worden.
    Hackworth stellte ebenfalls fest, daß einige weitere Mädchen ihm in Vierergruppen auf Fahrrädern gefolgt waren; diese Kundschafterinnen überholten ihn jetzt und gesellten sich wieder zu ihrer Gruppe.
    Ihm blieb keine andere Wahl, als zu warten, bis die Kolonne vorbeigezogen war. Das Trommeln wurde immer lauter und lauter, bis der Asphalt unter jedem Schlag erzitterte und die in Kidnappers Beine eingebauten Stoßdämpfer sich aktivierten und bei jedem Schlag unmerklich zuckten. Eine weitere Vorhut zog vorüber: Hackworth schätzte ihre Größe mühelos auf zweihundertsechsundfünfzig. Ein Bataillon bestand aus vier Kompanien, die sich

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