Diamond Age - Die Grenzwelt
sehen; die Mädchen hatten ihn benutzt, um im Bedarfsfall größere Gegenstände herzustellen. Dieses Gebäude war offenbar mit dem Feeder der Küstenrepublik in Puong verbunden, weil die Feederleistung nicht verlorengegangen war, als sie die Brücke gesprengt hatten; wahrscheinlich hätten die Fäuste ihr Hauptquartier nicht hier aufgeschlagen, wenn das Haus abgeschnitten gewesen wäre.
Alle zwei Stunden oder so kam einer der Fäuste in den Wandschrank und befahl dem MC, etwas herzustellen, für gewöhnlich einfache Substanzen wie zum Beispiel Rationen. Zweimal während dieser Anlässe wurde Nell in der Weise Gewalt angetan, mit der sie sich schon lange als unausweichlich abgefunden hatte. Sie machte die Augen zu, während die abscheuliche Tat begangen wurde, weil sie wußte, was auch immer diese Männer dem bloßen Behältnis ihrer Seele antun würden, ihre Seele selbst war unangreifbar und so weit vom Zugriff der Männer entfernt, wie der Vollmond von den wütenden Beschwörungen eines Schamanen der Aborigines entfernt war. Sie versuchte, an die Maschine zu denken, die sie mit Hilfe der Fibel in ihrem Kopf konstruierte, wie die Zahnräder ineinandergriffen und die Lager sich drehten, wie der Stabsprozessor programmiert wurde und wo die Energie gespeichert werden sollte.
In ihrer zweiten Nacht in dem Wandschrank, als die meisten Fäuste zu Bett gegangen waren und der MaterieCompiler offenbar nicht mehr gebraucht wurde, wies sie die Fibel an, ihren Entwurf in den Speicher des MC einzugeben, dann kroch sie darauf zu und drückte mit der Zunge den Startknopf.
Zehn Minuten später ließ die Maschine das Vakuum kreischend entweichen. Nell öffnete die Tür mit der Zunge. Ein Messer und ein Schwert lagen auf dem Boden des MC. Sie drehte sich mit knappen, ruckartigen Bewegungen um und atmete tief durch, damit sie nicht vor Schmerzen in den Körperteilen schrie, die am empfindlichsten und verletzlichsten waren und dennoch unter den wüstesten Grobheiten ihrer Häscher hatten leiden müssen. Sie streckte die gefesselten Hände aus und umklammerte den Messergriff. Schritte auf dem Flur kamen näher. Jemand mußte das Zischen des MC gehört und geglaubt haben, es wäre Essenszeit. Aber Nell durfte nichts überstürzen. Sie mußte vorsichtig sein.
Die Tür wurde geöffnet. Es war ein Unteroffizier der Fäuste, möglicherweise das grobe Äquivalent eines Sergeanten. Er leuchtete ihr mit einer Fackel ins Gesicht, dann kicherte er und schaltete das Deckenlicht ein.
Nells Körper versperrte den Blick auf den MC, aber es war nicht zu übersehen, daß sie nach etwas tastete. Wahrscheinlich ging er davon aus, daß es nur Essen wäre.
Er kam näher und versetzte ihr beiläufig einen Tritt in die Rippen, dann packte er sie am Oberarm und zerrte sie von dem MC weg, wobei er ihr solche Schmerzen in den Handgelenken zufügte, daß ihr Tränen über das Gesicht liefen. Aber sie ließ das Messer nicht los.
Der Fäuste-Unteroffizier starrte in den MC. Er war überrascht und würde es noch einen Moment bleiben. Nell bewegte das Messer so, daß es nur die Verbindung zwischen den beiden Ösen berührte, dann drückte sie auf den EiN-Knopf. Es funktionierte; die Messerklinge erwachte zum Leben wie eine Nanotechkettensäge und schnitt das Bindeglied innerhalb von Sekundenbruchteilen durch, als würde man einen Fingernagel schneiden. Nell riß es mit derselben Bewegung um ihren Körper herum und bohrte es dem Soldaten in den Ansatz der Wirbelsäule.
Er fiel zu Boden, ohne einen Laut von sich zu geben - er spürte keinen Schmerz von dieser Wunde, noch überhaupt irgendwas unterhalb der Taille. Bevor er sich über seine Lage klarwerden konnte, bohrte sie ihm das Messer in die Schädelbasis.
Er trug einfache Bauernkleidung: indigofarbene Hosen und ein Überziehhemd. Das zog Nell an. Sie band sich das Haar mit Fäden des Mops hoch und verschwendete ein paar kostbare Minuten darauf, Arme und Beine zu strecken.
Und dann mit dem Schwert in der Hand und dem Messer im Hosenbund hinaus auf den Flur. Sie ging um die Ecke und hieb einen Mann, der aus der Toilette kam, in der Mitte entzwei; der Schwung des Schwertes reichte aus, daß sie noch einen langen Kratzer in die Wand hieb. Ein Blutschwall sprudelte aus dem Torso, den Nell, so schnell sie konnte, hinter sich ließ. In der Halle, vor den Fahrstühlen, hielt ein weiterer Mann Wache, und als er feststellen wollte, was es mit den Geräuschen auf sich hatte, durchbohrte sie ihn rasch mehrmals
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