Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
lächelte Nell unterwürfig an.
    Als Bürger der Küstenrepublik, der im Dienstleistungssektor tätig war, kannte er ein paar Worte Englisch, und Nell kannte ein paar Worte Chinesisch. »Unten - Fäuste?« sagte sie.
    »Viele Faust.«
    »Erdgeschoß – Fäuste?«
    »Ja, viele Faust Erdgeschoß.«
    »Straße – Fäuste?«
    »Faust, Armee kämpft auf Straße.«
    »Um dieses Gebäude herum?«
    »Faust überall um dieses Gebäude herum.«
    Nell sah zur Instrumententafel des Fahrstuhls: vier Reihen Knöpfe dicht beieinander, ein Farbkode für jede offizielle Funktion der einzelnen Etagen – Grün für Einkaufen, Gelb für Wohnungen, Rot für Büros, Blau für Versorgungsanlagen. Die meisten blauen Etagen lagen unterirdisch, aber eine war die fünfte von oben.
    »Hausverwaltung?« sagte sie und zeigte darauf.
    »Ja.«
    »Fäuste dort?«
    »Nein, Faust alle unten. Aber Faust auf Dach!«
    »Dorthin.«
    Als der Fahrstuhl den fünften Stock von oben erreichte, ließ Nell den Mann anhalten, kletterte auf das Kabinendach und zertrümmerte den Motor, damit sich die Kabine nicht mehr bewegen ließ. Sie sprang in die Kabine zurück und versuchte, nicht die Leichen zu sehen oder den Gestank von Blut und anderen Körperflüssigkeiten zu riechen, die allgegenwärtig zu sein schienen und inzwischen zu der offenen Tür hinausflossen und den Schacht hinuntertropften. Es würde nicht lange dauern, bis das alles entdeckt wurde.
    Aber ein wenig Zeit blieb ihr; sie mußte sich nur entscheiden, wie sie sie nutzen wollte. Es gab einen MaterieCompiler im Wandschrank des Wartungsraums, genau wie den, mit dem Nell ihre Waffen hergestellt hatte, und sie wußte, daß sie ihn benutzen konnte, um Sprengstoff herzustellen und Fallen in der Halle zu legen. Aber die Fäuste verfügten ebenfalls über Sprengstoff und konnten jederzeit die obersten Etagen des Gebäudes in die Luft jagen.
    Und wahrscheinlich saßen sie auch irgendwo in einem Kontrollraum im Keller und überwachten alle Aktivitäten des Feedernetzes im Haus. Wenn sie den MC benutzte, würde sie damit nur verraten, wo sie sich versteckt hielt; sie würden den Feeder lahmlegen und dann langsam und gründlich nach ihr suchen.
    Sie drehte eine rasche Runde durch die Büroräume und machte Inventur. Als sie zum Panoramafenster der exklusivsten Bürosuite hinausschaute, sah sie, daß sich die Lage auf den Straßen von Pudong zugespitzt hatte. Viele Wolkenkratzer waren an die Leitungen der ausländischen Feeder angeschlossen gewesen und inzwischen dunkel, aber mancherorts loderten Flammen aus zerschmetterten Fensterscheiben und sorgten für eine primitive Beleuchtung der dreihundert Meter tiefer gelegenen Straßen. Diese Gebäude waren größtenteils evakuiert worden, weswegen sich auf den Straßen weitaus mehr Menschen drängten, als je geplant gewesen war. Der Platz unmittelbar um das Gebäude herum wurde von einer Postenkette der Fäuste abgeriegelt und war vergleichsweise menschenleer.
    Sie fand einen Raum ohne Fenster mit Mediatronwänden, die eine erstaunliche Collage von Bildern boten: Blumen; Einzelheiten von europäischen Kathedralen und Shinto-Tempeln; chinesische Landschaftsgärtnerei; vergrößerte Aufnahmen von Insekten und Pollen; vielarmige indische Göttinnen; Planeten und Monde des Sonnensystems; abstrakte Muster aus der islamischen Welt; Graphen mathematischer Gleichungen; Porträts von männlichen und weiblichen Models. Davon abgesehen war der Raum leer bis auf ein Modell des Gebäudes, das mitten im Zimmer stand und etwa so groß war wie Nell. Die Hülle des Modells war mediatronisch wie die Außenwand des Gebäudes auch, und es wiederholte im Augenblick (vermutete sie) die Bilder, die draußen gezeigt wurden – hauptsächlich Werbung, aber offenbar waren einige Fäuste hier eingedrungen und hatten sie mit Graffiti verunstaltet.
    Auf dem Modell befanden sich ein Schreiber –nur ein schwarzer, am Ende zugespitzer Stift–und eine Palette mit einem Farbenrad und anderen Kontrollen. Nell hob sie auf, drückte die Spitze des Schreibers auf den grünen Bereich des Farbrads der Palette und strich dann damit über die Oberfläche des Modells. Eine leuchtende grüne Linie erschien, wo der Stift über die Oberfläche glitt, und verstümmelte die Werbung für eine Luftschifflinie.
    Welche Schritte Nell auch immer in der Zeit unternehmen wollte, die ihr noch blieb, eines konnte sie schnell und mühelos tun. Sie war nicht ganz sicher, warum sie es tat, aber eine innere Stimme sagte

Weitere Kostenlose Bücher