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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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schlagen konnte. Schließlich hatten wir Pteranodon, der fliegen konnte. Wir reisten als kleines Rudel zusammen. Um ganz ehrlich zu sein, unser Rudel hatte zuvor aus mehreren hundert Dinosauriern bestanden, überwiegend entenschnäbelige Pflanzenfresser, aber Utahraptor und ich waren gezwungen gewesen, die meisten davon zu verspeisen -natürlich nur einige wenige pro Tag, damit sie es nicht gleich merkten, weil sie nicht besonders intelligent waren.
    Schließlich waren sie alle dahin bis auf einen, einen schlaksigen und dürren Burschen namens Everett, den wir uns, so lange es ging, aufheben wollten. In den letzten paar Tagen schaute sich Everett unablässig nach seinen Gefährten um. Er hatte wie alle Pflanzenfresser die Augen seitlich am Kopf und konnte in fast alle Richtungen gleichzeitig sehen. Everett schien zu glauben, daß er den Kopf nur in die richtige Richtung
drehen müßte, und schon würden eine große Schar Entenschnäbel in sein Gesichtsfeld rotieren. Ganz am Ende konnte Everett, glaube ich, zwei und zwei zusammenzählen; ich sah ihn einmal überrascht blinzeln, als wäre ihm plötzlich ein Licht aufgegangen, und er war den Rest des Tages sehr still, als würde sein ganzes halbes Dutzend Neuronen emsig zusammenreimen, was seine Beobachtung zu bedeuten hatte. Danach wurde Everett immer lustloser, während wir über die verbrannte Erde wanderten, wo er nichts zu fressen fand, und winselte in einem fort, bis Utahraptor schließlich die Geduld verlor und mit einem Bein ausschlug, und da lagen Everetts Eingeweide auf dem Boden wie ein Sack voller Lebensmittel. Danach blieb uns nichts anderes übrig, als ihn zu essen.
    Ich bekam den größten Teil von ihm, obwohl Utahraptor ständig um meine Knöchel scharwenzelte und sich ein paar Leckerbissen holte, und von Zeit zu Zeit stieß Pteranodon herab und schnappte sich eine Schlinge des Darms. Ankylosaurus stand beiseite und sah zu. Wir hatten ihn lange Zeit für einen Idioten gehalten, weil er immer nur dahockte und zusah, wie wir diese Entenschnäbel unter uns aufteilten, dümmlich an einem vereinzelten Schachtelhalm knabberte und nie viel sagte. Zurückblickend muß ich sagen, daß er vielleicht nur einer von der wortkargen Sorte war. Er schien dahintergekommen zu sein, daß wir ihn auch gerne verspeist hätten, wenn es uns nur gelungen wäre, eine Schwachstelle in seinem Panzer zu finden.
    Wäre es uns nur gelungen! Viele Tage, nachdem Everett ein Häufchen Knochen an unserem Wegesrand geworden war, zogen Utahraptor und Pteranodon und ich durch die tote Landschaft, starrten Ankylosaurus an und sabberten, wenn wir an das unvorstellbar zarte Fleisch dachten, das unter seinem Panzer liegen mußte. Er mußte auch Hunger gehabt haben, und zweifellos wurde sein Fleisch mit jedem Tag magerer und weniger zart. Von Zeit zu Zeit stießen wir auf eine abgeschiedene Schlucht, wo unbekannte grüne Pflanzen ihre Schößlinge durch das schwarze und graue Geröll bohrten, und wir ermutigten Ankylosaurus jedesmal, eine Rast einzulegen und soviel zu essen, wieer wollte. »Nein, wirklich! Es macht uns nichts aus, auf dich zu warten!« Er wandte uns beim Grasen immer seine winzigen, seitlichen Augen zu und sah uns niedergeschlagen an. »Wie schmeckt dein Essen, Anky?« sagten wir, und er knurrte als Antwort etwas wie: »Schmeckt nach Iridium, wie immer«, und dann trotteten wir wieder ein paar Tage weiter, ohne ein Wort zu sprechen.
    Eines Tages erreichten wir das Ufer eines Meeres. Das Salzwasser schwappte an ein lebloses Ufer, das von den Gebeinen ausgestorbener Meerestiere übersät war, von winzigen Trilobiten bis zu Plesiosauriern. Hinter uns lag die Wüste, die wir gerade durchquert hatten. Südlich konnten wir eine Gebirgskette sehen, die möglicherweise auch dann unpassierbar gewesen wäre, wenn sie nicht zur Hälfte aus aktiven Vulkanen bestanden hätte. Und im Norden bedeckte Schnee die Berggipfel, und wir wußten alle, was das bedeutete: Wenn wir in diese Richtung gingen, würden wir bald alle erfrieren.
    Also saßen wir da fest, wir vier, und obwohl es damals keine Mediatrons oder Cine-Aerostats gab, wußten wir genau, was Sache war: Wir waren die vier letzten Dinosaurier auf der Welt. Bald würden wir drei sein, dann zwei, dann einer, und dann gar keiner mehr, blieb nur die Reihenfolge festzulegen, in der wir gehen würden. Du denkst vielleicht, daß es schrecklich und deprimierend war, aber so schlimm ist es gar nicht gewesen; als Dinosaurier verschwendeten wir

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