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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Ich folgte der Königin mitten zwischen ihre Armee, wobei ich behutsam auftrat, bis die Königin sagte: »Lauf nur zu, Lungenatmer! Zeit ist Essen! Mach dir keine Gedanken wegen der Ameisen unter deinen Füßen - du kannst unmöglich mehr als null töten!« Von da an ging ich ganz normal, auch wenn meine Krallen glitschig von zerquetschten Ameisen wurden.
    Wir zogen etwa einen Tag lang nach Süden, dann blieben wir an einem Flußufer stehen. »Südlich von hier liegt das Reich des Königs der Kakerlaken. Deine erste Aufgabe ist es, mir den Kopf dieses Königs zu bringen.«
    Ich sah über den Fluß und stellte fest, daß es auf dem ganzen Festland nur so von einer unendlichen Vielzahl von Kakerlaken wimmelte, mehr als ich je zertreten konnte; und selbst wenn mir das gelingen sollte, mußten noch viel mehr unter dem Boden hausen, wo auch der König leben mußte.
    Ich watete durch den Fluß und reiste drei Tage lang durch das Königreich der Kakerlaken, bis ich wieder einen Fluß überquerte und in das Königreich der Bienen gelangte. Dieses Land war so grün, wie ich lange keines mehr gesehen hatte, allerorten blühten Wildblumen, und überall flogen Bienen herum und brachten Nektar zu ihren Stöcken zurück, die so groß wie Häuser waren.
    Da kam mir ein Gedanke. Ich fällte mehrere mit Honig gefüllte hohle Bäume, schleppte sie ins Reich der Kakerlaken zurück, spaltete sie und legte klebrige Honigspuren zum Meer hinab. Die Kakerlaken folgten den Spuren zum Meer hinunter, wo die Wellen über ihren Köpfen zusammenschlugen und sie ertränkten. Drei Tage lang hielt ich Wache am Ufer, während die Zahl der Kakerlaken kontinuierlich kleiner wurde, und am dritten Tage schließlich kam der König der Kakerlaken aus seinem Thronsaal heraus und wollte nachsehen, wohin alle verschwunden waren. Ich lockte ihn auf ein Blatt und trug ihn, sehr zum Erstaunen der Königin, zurück nach Norden, ins Königreich der Ameisen.
    Danach überstellte man mich in den Gewahrsam des Königs der Vögel. Er und seine tschilpende, zwitschernde Armee geleiteten mich in die Berge, weit über die Schneegrenze, und ich fürchtete schon, ich müßte erfrieren. Doch als wir weiter hinauf kamen, wurde es plötzlich wärmer, was ich nicht verstand, bis mir klar wurde, daß wir uns einem aktiven Vulkan näherten. Schließlich blieben wir am Rande eines
rotglühenden Lavastroms von einer halben Meile Breite stehen. In der Mitte des Lavastroms ragte ein hoher schwarzer Felsen auf wie eine Insel mitten in einem Fluß.
    Der König der Vögel zupfte sich eine goldene Feder aus seinem Schwanz und gab sie einem Soldaten, der mit ihr im Schnabel über die Lava hinwegflog und sie auf eben jenem Felsen ablegte. Als der Soldat den Rückflug antrat, war er halb geröstet von der Hitze, die von der Lava aufstieg- und glaub nicht, mir wäre nicht das Wasser im Mund zusammengelaufen! »Deine Aufgabe«, sagte der König der Vögel, »besteht darin, mir die Feder zurückzubringen.«
    Das war eindeutig unfair, und ich wandte ein, die Vögel würden versuchen, Pteranodon einen Vorteil zu verschaffen. Diese Art der Beweisführung hätte möglicherweise bei den Ameisen oder sogar den Spitzmäusen gefruchtet; aber der König der Vögel wollte nichts davon hören. Für sie bestand Tugend darin, wie ein Vogel zu sein, und Fairneß hatte damit nichts zu tun.
    Nun, ich stand am Rand des Lavastroms, bis meine Haut anfing zu rauchen, sah aber keine Möglichkeit, die Feder zu erreichen. Schließlich beschloß ich, einfach aufzugeben. Ich ging davon und schnitt mir die Füße an dem scharfkantigen Gestein auf, als mir plötzlich ein Licht aufging: Der Fels, auf dem ich die ganze Zeit gestanden hatte, war nichts weiter als Lava, die kalt und fest geworden war.
    Wir befanden uns im Hochgebirge, wo Gletscher und schneebedeckte Plateaus wie die Mauern eines Palastes über mir aufragten. Ich erklomm einen besonders steilen Hang und schlug mit meinem Schwanz auf den Schnee ein, bis ich eine Lawine ausgelöst hatte. Millionen Tonnen Eis und Schnee krachten donnernd auf die Lava hinab; eine gewaltige Dampfwolke stieg auf. Drei Tage und Nächte konnte ich wegen des Dampfs die Kralle nicht vor den Augen sehen, doch am dritten Tag verzog sich der Dampf endlich, und ich sah eine Brücke aus erstarrter Lava, die direkt zu jenem schwarzen Felsen führte. Ich hüpfte hinüber (in dem Maße, wie ein Dinosaurier eben hüpfen kann), schnappte mir die goldene Feder, rannte zurück und blieb eine

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