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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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zu geistiger Erleuchtung und damit zu einer wohlgeordneten Gesellschaft, wie der Meister selbst viele Male betont hat.«
    »Ich verstehe«, sagte Dr. X ein wenig überrascht. Er machte einen aufrichtig nachdenklichen Eindruck, während er seinen Bart streichelte und in eine Kerzenflamme sah, die plötzlich chaotisch zu flackern angefangen hatte. Es schien, als hätte der Richter einen völlig neuen Aspekt angeschnitten, der gründlicher Überlegung bedurfte. »Es ist besser, das Buch in die Hände von jemandem zu geben, der von seiner Weisheit profitieren kann, statt es nutzlos in einem Lagerhaus der Polizei herumliegen zu lassen.«
    »So auch meine zweifellos alles andere als perfekte Schlußfolgerung, zu der ich in aller Hast gekommen war«, sagte Richter Fang.
    Dr. X grübelte noch etwa eine Minute über die Frage nach. »Es spricht für Ihre berufliche Integrität, daß Sie imstande sind, sich mit dieser Entschiedenheit auf den Fall eines kleinen Mädchens zu konzentrieren.«
    »Zweifellos werden Sie, ein weitaus bedeutenderer Gelehrter als ich, mit mir darin übereinstimmen, daß das gesellschaftliche Interesse an erster Stelle steht. Daneben verblaßt das Schicksal eines kleinen Mädchens zur Bedeutungslosigkeit. Doch bei ansonsten unveränderten Bedingungen ist es für die Gesellschaft besser, wenn das Mädchen eine Ausbildung genießt, als daß es unwissend bleibt.«
    Dr. X zog die Brauen hoch und nickte bekräftigend. Während der restlichen Mahlzeit kam das Thema nicht mehr zur Sprache. Richter Fang ging davon aus, daß das Schwebeboot langsam einen weiten Kreis fuhr, der sie schließlich wieder zur Mündung des Huang Pu zurückführen würde.
    Aber als der Schub weggenommen wurde und das Boot wieder ins Wasser sank, wo es mit den Wellen wogte, konnte Richter Fang keine Lichter vor den Fenstern erkennen. Sie waren nicht in der Nähe von Pudong und, soweit er sehen konnte, überhaupt nicht in der Nähe einer bewohnten Gegend.
    Dr. X deutete zum Fenster hinaus ins Leere und sagte: »Ich habe mir die Freiheit genommen, diesen Besuch für Sie zu arrangieren. Es berührt einen Fall, der vor kurzem Ihrem Zuständigkeitsbereich unterstellt wurde und über den wir heute abend ebenfalls schon gesprochen haben.«
    Als Richter Fang seinem Gastgeber an Deck folgte, konnte er endlich ihre Umgebung erkennen. Sie befanden sich auf dem offenen Meer, kein Land in Sicht, aber die Lichter von Groß-Shanghai waren deutlich im Westen zu sehen. Es war eine klare Nacht, und der beinahe volle Mond erhellte deutlich den Rumpf eines riesigen Schiffes in der Nähe. Auch ohne Mondschein hätte man das Schiff daran erkennen können, daß es alle Sterne in einem Himmelsquadranten verdeckte.
    Richter Fang wußte so gut wie nichts über Schiffe. In seiner Jugend hatte er einmal an einer Führung durch einen Flugzeugträger teilgenommen, der einige Tage in Manhattan vor Anker gegangen war. Er vermutete, daß dieses Schiff noch größer war. Abgesehen von vereinzelten roten Lichtern hier und da, die Rückschlüsse auf seine Größe zuließen, sowie einigen horizontalen Linien gelben Lichts, die aus den Bullaugen des Schiffsrumpfs viele Stockwerke über den Köpfen der Betrachter leuchteten, herrschte völlige Dunkelheit an Bord.
    Dr. X und Richter Fang wurden von einer kleinen Mannschaft, die sie mit einem Beiboot abholte, an Bord dieses Schiffes geleitet. Als das Beiboot am Schiff des Doktors längsseits ging, stellte Richter Fang erstaunt fest, daß die Besatzung ausschließlich aus jungen Frauen bestand. An ihrem Akzent konnte man erkennen, daß sie einer ethnischen Untergruppe angehörten, die im Südosten weit verbreitet war und fast ausschließlich auf dem Wasser lebte; aber selbst wenn sie kein Wort gesprochen hätten, hätte Richter Fang es an ihrem geübten Umgang mit dem Boot erkennen können.
    Nach wenigen Minuten waren Dr. X und Richter Fang durch eine Schleuse dicht über dem Wasserspiegel an Bord des riesigen Schiffs befördert worden. Richter Fang bemerkte, daß es sich nicht um ein altmodisches Schiff aus Stahl handelte; es bestand aus nanotechnologischen Substanzen, die unendlich leichter und stabiler waren. Kein MaterieCompiler der Welt war groß genug, ein ganzes Schiff zu kompilieren, daher hatten die Werften in Hongkong die Teile nacheinander kompiliert, zusammengesetzt und zum Stapellauf ins Meer geschoben, ganz genau wie ihre Vorgänger in der Ära vor der Diamantenzeit.
    Richter Fang war davon ausgegangen, daß es

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