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Diaspora

Diaspora

Titel: Diaspora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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nur soviel, daß die beiden sich noch verständigen konnten –, und er würde es mit Freuden begrüßen, wenn künftige Generationen alle Möglichkeiten der Software-Existenz auslebten. Doch sich selbst auf diese Weise umzustrukturieren wäre für ihn einer Selbstverstümmelung gleichgekommen. Deshalb träumte er immer noch auf die althergebrachte Weise: verwirrende, unrealistische und unkontrollierbare Träume, nicht die klaren, detaillierten Wunscherfüllungsphantasien oder zuckersüßen therapeutischen Psychodramen der Assimilierten. Durch seine allzu menschlichen Träume würde er Liana niemals zurückgewinnen, und sie würden ihn auch nicht auf einen qualvollen Weg der Allegorie und Katharsis zwingen, der ihn mit ihrem Verlust versöhnen sollte. Sie offenbarten nichts, bedeuteten nichts und änderten nichts. Doch sie zu amputieren oder zu verunstalten wäre wie ein Schnitt in sein eigenes Fleisch gewesen.
    Voltaire stand tief am Himmel, in der Richtung, die Orlando als Osten definiert hatte. Bei dieser Entfernung war es ein blasser rötlicher Fleck, etwa so hell wie der Merkur von der Erde aus gesehen, ein uralter K5-Stern mit nur einem Sechstel der Leuchtkraft der Sonne. Fünf terrestrische Planeten und fünf Gasriesen, die eher in die Neptun- als die Jupiter-Klasse fielen, waren schon lange vor dem Start der Diaspora beobachtet oder ermittelt worden, doch die individuellen Spektren der inneren Planeten entzogen sich nach wie vor sowohl den kolossalen Instrumenten in der Heimat als auch der äußerst bescheidenen Ausrüstung, über die die Polis verfügte.
    »Was hast du uns zu bieten? Eine Zuflucht?« Er starrte auf den Stern. Unwahrscheinlich. Nur ein paar weitere tote Planeten. Ein paar weitere Lektionen über die Empfindlichkeit des Lebens und die Gleichgültigkeit der Kräfte, die es schufen und zerstörten.
    Als Orlando in die Schlafkammer zurückgekehrt war, überlegte er, ob er den Anruf ignorieren und sich unverzüglich wieder schlafen legen sollte. Es konnte sich nur um schlechte Neuigkeiten handeln – ein neues Fomalhaut oder Schlimmeres – oder ein Lebensbeweis, der so unscheinbar war, daß es ein paar Jahrhunderte gedauert hatte, bis man auf ihn aufmerksam geworden war. Vielleicht waren auf einem der Monde der Gasriesen im Orbit um 51 Pegasus in einer bislang unerkundeten Felsspalte ein paar fossile Mikroben entdeckt worden. Ein Hinweis auf eine dritte Biosphäre wäre äußerst bedeutend, aber er fühlte sich zu müde, um vor der Dämmerung detaillierte Fakten über ferne Welten zu studieren.
    Andererseits hatten vielleicht die Kalmare von Orpheus einen Einblick in die Natur ihrer schwimmenden Universen gewonnen. Orlando lachte matt. Er war eifersüchtig, aber trotzdem interessiert. Die Möglichkeit, daß in der Kalmar-Kultur eine Entwicklung stattgefunden hatte, genügte, um seine Gleichgültigkeit zu erschüttern.
    Er klatschte in die Hände, worauf sich der Raum erhellte. Er setzte sich auf das Bett und sprach zum Wandbildschirm. »Meldung!« Text wurde sichtbar, der die Gründe seines Exo-Ichs zusammenfaßte, warum er geweckt worden war. Orlando konnte es nicht ausstehen, wenn nicht-bewußte Software zu ihm sprach.
    Die Neuigkeit war hausgemacht, obwohl die zugrundeliegende Kette von Ereignissen bereits auf der Erde begonnen hatte. Jemand in C-Z Erde hatte ein verbessertes Miniatur-Spektroskop entwickelt, das sich durch Nanoware-Modifikationen am Modell, das von der Polis mitgeführt wurde, nachbauen ließ. Die Astronomie-Software der Polis hatte bereits damit begonnen, diese Arbeit auszuführen, und mit Hilfe des neuen Instruments war nun die Atmosphärenchemie aller zehn Planeten Voltaires bestimmt worden.
    Die erste Überraschung bestand darin, daß der innerste Planet Swift eine Atmosphäre besaß, die völlig vom Erwarteten abwich: hauptsächlich Kohlendioxid und Stickstoff, bei einem Fünftel des irdischen Luftdrucks, doch es waren außerdem erhebliche Spuren von Schwefelwasserstoff und Wasserdampf vorhanden. Bei sechzig Prozent der Erdgravitation und einer Oberflächentemperatur von durchschnittlich siebzig Grad Celsius hätte alles auf Swift vorhandene Wasser längst in den zwölf Milliarden Jahren seit der Entstehung des Planeten verschwunden sein müssen – durch UV-Strahlung in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten, worauf der Wasserstoff in den Weltraum entwich.
    Die zweite Überraschung war, daß das Schwefelwasserstoff nicht im thermodynamischen Gleichgewicht mit der

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