Diaspora
übrigen Atmosphäre zu stehen schien. Es wurde entweder aus dem Planeteninneren ausgestoßen – was nach zwölf Milliarden Jahren unwahrscheinlich war –, oder es handelte sich um das Nebenprodukt eines ungleichgewichtigen chemischen Prozesses, der durch Voltaires Licht angetrieben wurde. Möglicherweise Leben.
Doch die dritte Überraschung verursachte Orlando ein Kribbeln auf der Haut, da sie seine tristen Visionen von kochenden Seen voller stinkender Bakterien vertrieb. Die Spektren zeigten außerdem, daß die Moleküle in Swifts Atmosphäre keinen gewöhnlichen Wasserstoff, keinen Kohlenstoff-12, keinen Stickstoff-14, keinen Sauerstoff-16, keinen Schwefel-32 enthielten. Nicht die geringste Spur der im Kosmos häufigsten Isotope, obwohl sie auf Voltaires anderen neun Planeten in den normalen Verhältnissen nachweisbar waren. Auf Swift gab es nur Deuterium, Kohlenstoff-13, Stickstoff-15, Sauerstoff-18 und Schwefel-34: die schwersten stabilen Isotope jedes Elements.
Das erklärte auch, warum immer noch Wasserdampf vorhanden war, denn diese schwereren Moleküle mußten näher an der Oberfläche des Planeten bleiben, und wenn sie aufgespalten wurden, hatte das Deuterium eine größere Chance, sich erneut zu verbinden, bevor es entweichen konnte. Doch nicht einmal der gravitationsbedingte Verlust leichterer Isotope konnte diese unwahrscheinlichen Verhältnisse erklären, denn Swifts Atmosphäre enthielt die hunderttausendfache Menge an Deuterium, als zum Zeitpunkt der Bildung des Planeten hätte vorhanden sein dürfen.
Die Software hielt sich mit Schlußfolgerungen zurück, doch für Orlando gab es keinen Zweifel. Irgend jemand hatte diese Elemente transformiert. Jemand hatte absichtlich die Atmosphäre dieses Planeten schwerer gemacht, um die Lebensbedingungen zu verbessern.
13 Swift
Carter-Zimmerman-Polis, Swift-Orbit
85 801 536 954 849 KSZ
16. März 4953, 15:29:12.003 WZ
Yatima flog dicht neben Orlandos Sonde und sah beide als schlanke, etwa drei Delta lange Fahrzeuge mit Tragflächen, die über Swifts flacher roter Wüste schwebten. Die wirklichen Sonden waren Kugeln mit einem Durchmesser von einem halben Millimeter, vom Licht Voltaires mit Energie versorgt, hauptsächlich durch den Wind in der Luft gehalten, während sie gelegentlich durch Rotation Auftrieb erzeugten und sich vorwärts bewegten, indem sie atmosphärische Gase durch ein Netzwerk aus Kanälen mit molekularen Flimmerhärchen pumpten. Selbst mit der ausgefeilten Navigationssoftware zeigte die Bedienung des Lenkrads nicht immer die erwünschte Wirkung.
»Eine Oase!«
Orlando blickte sich um. »Wo?«
»Links von dir.« Yatima hatte noch nicht den Kurs geändert, da hie Orlandos Fahrzeug nicht in die Quere kommen wollte. Es war unwahrscheinlich, daß sich die Sonden berührten, und es hätte kaum ernsthafte Folgen gehabt, wenn es doch geschehen wäre, aber unmittelbar nach heiner Ankunft aus Konishi hatte hie heine Navigatoren als erstes mit einer entschiedenen Abneigung gegen Kollisionen programmiert. Die Bürger von Carter-Zimmerman mochten es überhaupt nicht, wenn eine andere Person versuchte, den gleichen Teil einer Landschaft zu okkupieren.
Orlando legte sein Gefährt in die Kurve, und sie näherten sich der Oase. Es war eine mehrere Meter durchmessende Wasserpfütze – mehrere zehn Kilodelta in ihrem gegenwärtigen Maßstab –, die von einer Polymer-Membrane überzogen war. Die Oberflächenspannung dehnte die Membrane zu einem konvexen Spiegel und reflektierte einen Teil des blaßpurpurnen Himmels, der wenige Zentimeter über dem Boden zu schweben schien. Reines Wasser kochte in Swifts dünner Atmosphäre bei etwa sechzig Grad, so daß Regen nur auf der Nachtseite fallen konnte, doch wenn sich genügend Restwasser um einige Sporen sammelte, erwachte die ausgetrocknete Mikroökologie zu neuem Leben und kämpfte darum, das Wasser so lange wie möglich für sich zu behalten. Die Membrane begrenzte die Verdunstung, und eine Mischung verschiedener Chemikalien erhöhte den Siedepunkt um zehn Grad, doch bis zum Nachmittag eines 507 Stunden langen Tages hatte nur ein Bruchteil der nachts entstandenen Oasen überlebt. Allerdings kam das Swift-Leben problemlos damit zurecht, gekocht und ausgedörrt zu werden – ähnlich wie es den meisten primitiven Lebensformen der Erde nichts ausmachte, gefroren zu werden.
Aus der Nähe konnten sie durch die partiell reflektierende Oberfläche in die atemberaubende Welt darunter blicken.
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