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Diaspora

Diaspora

Titel: Diaspora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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elektronischen Kabeln zu sehen. Dann brach ein Schwarm von Nanomaschinen durch ihre Haut, und alles löste sich zu einer Wolke aus grauem Staub auf.
    Zwei körperliche Kinder gingen Seite an Seite, Hand in Hand. Oder Vater und Sohn, Gleisner und Körperlicher, Bürger und Gleisner … Yatima gab es auf, eindeutige Zuordnungen zu finden, und ließ sich einfach von den Eindrücken berieseln. Die zwei Gestalten spazierten langsam über die Hauptstraße einer Stadt, während um sie herum Türme wuchsen und zerfielen, Dschungel und Wüste vordrangen und sich zurückzogen.
    Das Kunstwerk ließ Yatimas Blickwinkel ohne hein Zutun um die Gestalten herumwirbeln. Hie sah, wie sie Blicke, Berührungen und Küsse austauschten – und Schläge, die jedoch unbeholfen waren, da ihre rechten Arme an den Handgelenken zusammengewachsen waren. Dann schlossen sie Frieden und verschmolzen miteinander. Die kleinere Gestalt hob die Größere auf ihre Schultern, worauf der Getragene durch den Träger floß, wie Sand durch ein Stundenglas.
    Sie waren Eltern und Kind, Geschwister, Freunde, Liebende, eine Spezies, und Yatima genoß ihre Freundschaft. Hashims Kunstwerk war eine Destillation der Idee der Freundschaft, innerhalb und über alle Grenzen hinaus. Und ganz gleich, ob es am Vademecum lag oder nicht, Yatima war froh, es erleben zu dürfen, einen Teil davon in sich aufnehmen zu können, bevor sich alle Bilder in nichts auflösten und nur noch das Flackern der Entropie in der Kühlflüssigkeit von Ashton-Laval übrig war.
    Die Landschaft schob Yatimas Blickwinkel vom Paar fort. Ein paar Tau lang ließ hie es mit sich geschehen, doch die ganze Stadt hatte sich zu einer flachen, von Rissen durchzogenen Wüste eingeebnet, so daß abgesehen von den Gestalten in der Ferne nichts mehr zu sehen war. Hie sprang zu ihnen zurück – nur um festzustellen, daß hie bereits heine Koordinaten modifizieren mußte, wenn hie an Ort und Stelle bleiben wollte. Es war eine seltsame Erfahrung. Yatima besaß keinen Sinn für Berührung, Gleichgewicht oder Selbstwahrnehmung – das Konishi-Konzept verzichtete auf solche Illusionen der Körperlichkeit –, doch das Bestreben der Landschaft, hie ›wegzudrängen‹, und die Notwendigkeit einer Gegenbeschleunigung kamen einem leiblichen Kampf so nahe, daß hie sich beinahe vorstellen konnte, mit einem Körper ausgestattet zu sein.
    Die Gestalt, die Yatima ihr Gesicht zuwandte, alterte plötzlich. Die Wangen fielen ein, die Augen wurden glasig. Yatima bewegte sich, um das Gesicht des anderen erkennen zu können – worauf die Landschaft hie über die Wüste davonschleuderte, diesmal in entgegengesetzter Richtung. Hie kämpfte sich zurück zu … Mutter und Tochter, die dann ein zerfallender und ein glänzend neuer Roboter waren … und obwohl die zwei miteinander verbunden blieben, Hand in Hand, konnte Yatima beinahe die Kraft spüren, die sie auseinanderzureißen versuchte.
    Hie sah, wie eine körperliche Hand nach Haut und Knochen griff, wie Metall nach Fleisch griff, Keramik nach Metall. Und alle glitten langsam voneinander ab. Yatima blickte in die Augen beider Gestalten: Während alles andere im Fluß war und sich veränderte, war der Blickkontakt fest und unerschütterlich.
    Die Landschaft spaltete sich, der Boden klaffte auf, der Himmel teilte sich. Nun waren die Gestalten getrennt. Yatima wurde von ihnen fortgeschleudert, zurück in die Wüste – nun mit einer Gewalt, der hie nichts entgegenzusetzen vermochte. Hie sah sie in der Ferne, nun wieder als Zwillinge von unbestimmter Spezies, während sie sich auf beiden Seiten der größer werdenden Leere nacheinander sehnten. Sie hatten die Arme ausgestreckt, und die Fingerspitzen berührten sich beinahe.
    Dann wurden die Hälften der Welt auseinandergerissen. Jemand schrie vor Wut und Trauer auf.
    Die Landschaft löste sich in Schwärze auf, bis Yatima verstand, daß der Schrei hein eigener gewesen war.
     
    Das Forum mit dem Springbrunnen der fliegenden Schweinchen war schon seit langer Zeit verlassen, aber Yatima hatte sich in heiner Landschaft eine Kopie aus den Archiven installiert. Der von den Kreuzgängen gesäumte Platz machte inmitten einer weiten Ebene mit vertrocknetem Gebüsch einen verlorenen Eindruck. Wenn die Fläche leer war, wirkte sie gleichzeitig zu groß und zu klein. Ein paar hundert Delta entfernt war eine (nicht maßstabgetreue) Kopie des Asteroiden zur Hälfte im Boden vergraben. Irgendwann hatte sich Yatima vorgestellt, wie sich eine

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