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Diaspora

Diaspora

Titel: Diaspora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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über alles dachte.
    Trotzdem war die Bibliothek voll mit den Methoden, die die Wissenssucher der Vergangenheit benutzt hatten, um ihre Theoreme auszuarbeiten, und Yatima hätte sich diese Details neben den Grunddaten anzeigen lassen können, um sich die archivierte Erkenntnis der zahllosen Konishi-Bürger zugänglich zu machen, die vor hie diesen Weg beschritten hatten. Die richtigen Kommentare hätten es hie ermöglicht, mühelos den Vorsprung aller lebenden Wissenssucher einzuholen, die die Stollen immer tiefer in die Richtungen ihrer Wahl vortrieben. Das hätte jedoch bedeutet, daß hie in mathematischer Hinsicht kaum mehr als ihr gemeinsamer Klon gewesen wäre, der nie aus ihrem Schatten treten würde.
    Wenn hie jemals zu einem eigenständigen Wissenssucher werden wollte – der seine eigenen Vermutungen am Ende eines Stollens ausprobierte, so wie Gauß und Euler, Riemann und Levi-Civita, deRham und Cartan, Radiya und Blanca –, dann konnte es für Yatima keine Abkürzungen geben, keine Alternativen zur eigenständigen Erkundung der Minen. Hie konnte niemals darauf hoffen, in eine neue Richtung vorzustoßen, einen Weg zu nehmen, den niemand vor hie gegangen war, ohne einen neuen Ansatz auf alte Erkenntnisse anzuwenden. Erst wenn hie einen eigenen Plan von den Minen gezeichnet hatte – der auf individuelle Art zerknittert und verschmutzt war, der mit unverwechselbaren Kommentaren versehen war, die es kein zweites Mal gab –, erst dann konnte hie eine Ahnung davon gewinnen, wo eine ergiebige Erzader mit unentdeckten Wahrheiten verborgen sein mochte.
     
    Yatima war in die Savanne heiner Privatlandschaft zurückgekehrt und spielte gerade mit einem Torus, der kreuz und quer mit Polygonen bedeckt war, als Inoshiro ein Anruf-Etikett schickte. Es drang wie ein vertrauter Geruch im Wind in die Landschaft ein. Yatima zögerte, denn hie war glücklich mit dem, was hie tat, und hie wollte eigentlich gar nicht gestört werden, doch dann gab hie nach und antwortete mit einem Willkommens-Etikett, das Inoshiro Zugang zu heiner Landschaft gewährte.
    »Was ist denn das für ein häßliches Ding?« Inoshiro blickte verächtlich auf den minimalistischen Torus. Seit heinen Besuchen in Ashton-Laval schien hie sich das Mäntelchen eines Verfechters der Landschaftsästhetik umgelegt zu haben. Alles, was Yatima in heiner persönlichen Landschaft gesehen hatte, wand sich unablässig, strahlte über das gesamte Spektrum und besaß eine fraktale Dimension von mindestens zwei Komma neun.
    »Ein Entwurf für den Beweis, daß ein Torus eine Totalkrümmung von null besitzt. Ich möchte ihn der permanenten Ausstattung hinzufügen.«
    Inoshiro stöhnte. »Das Establishment hat dich wirklich voll im Griff. Waisenkind tut, was Waisenkind sieht.«
    »Ich habe die Oberfläche in Polygone zerlegt«, erwiderte Yatima gelassen. »Die Anzahl der Seitenflächen minus der Anzahl der Kanten plus der Anzahl der Ecken – die Eulersche Zahl – ist gleich Null.«
    »Nicht mehr lange.« Inoshiro zeichnete eine Linie über das Objekt und zerteilte damit trotzig eins der Sechsecke.
    »Du hast soeben eine weitere Seite und eine neue Ecke hinzugefügt. Damit ist alles wieder ausgeglichen.«
    Inoshiro zerteilte ein Quadrat in vier Dreiecke.
    »Drei neue Seitenflächen minus vier neue Ecken plus ein neuer Eckpunkt. Das ergibt wieder Null.«
    »Wissensfresser. Logikzombie.« Inoshiro öffnete den Mund und spuckte eine Reihe wahlloser Etiketten für aussagenlogische Kalküle aus.
    Yatima lachte. »Wenn du nicht Besseres auf Lager hast, um mich zu beleidigen …« Hie setzte an, ein Etikett für die unverzügliche Zugangsverweigerung zu produzieren.
    »Komm mit und sieh dir Hashims neues Stück an.«
    »Vielleicht später.« Hashim war einer von Inoshiros Künstlerfreunden aus Ashton-Laval. Yatima fand ihre Arbeiten zum größten Teil irritierend, obwohl hie nicht sicher war, ob es an der unterschiedlichen mentalen Architektur der jeweiligen Poleis oder nur an heinem persönlichen Geschmack lag. Auf jeden Fall bestand Inoshiro darauf, daß es sich um ›hohe Kunst‹ handelte.
    »Es ist vergänglich, in Realzeit, jetzt oder nie.«
    »Falsch: du könntest es für mich aufzeichnen, oder ich könnte einen Stellvertreter schicken …«
    Inoshiro verzog das Zinngesicht in übertriebenem Unmut. »Sei nicht so kulturlos! Sobald der Künstler über die Parameter entschieden hat, sind sie sakrosankt …«
    »Hashims Parameter sind einfach nur unbegreiflich. Ich weiß

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